Europarecht III: Bundesrepublik wegen Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention durch die deutsche Justiz vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verurteilt.
Vom 01.03.2005
Was die deutsche Justiz von deutschen Anwälten jederzeit als Selbstverständlichkeit voraussetzte, soll nun auch für die deutsche Richterschaft selbst gelten. Arbeitsüberlastung stellt nunmehr auch für Richter keinen Entschuldigungsgrund für übermäßig lange Bearbeitungszeiten dar, sondern kann zu einer Verletzung des Grundrechtes auf ein faires Verfahren führen. (Beitrag von RA Liviu-Mihai Blaga, LL.M. Eur.)
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat im Februar dieses Jahres zwei Urteile erlassen, welche die Bundesrepublik Deutschland betreffen. Beiden Urteilen liegt eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vom 4.11.1950 zu Grunde.
In der Rechtssache Uhl v. Germany, no. 64387/01 vom 10.02.2005 befanden die Straßburger Richter, dass über die gegen den Beschwerdeführer Uhl erhobene Anklage nicht „innerhalb angemessener Frist“ verhandelt worden sei. Dies stelle ein Verstoß gegen Art. 6 Absatz 1 EMRK dar, wonach jede Person u. a. ein Recht darauf habe, dass über eine gegen sie erhobene Anklage innerhalb angemessener Frist verhandelt werde.
Hinsichtlich der strafrechtlichen Verfahrensdauer berechnete der EGMR die neun Jahre und fünf Monate zählende Periode ab der Mitteilung des Finanzamtes Frankfurt/Main über die Einleitung des Strafverfahrens am 10.01.1991 bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Ablehnung der Verfassungsbeschwerde am 15.06.2000. Das Verfahren erstreckte sich über vier Instanzen.
Für die Beurteilung der Angemessenheit dieser Verfahrensdauer stellte der EGMR in ständiger Rechtsprechung auf die besonderen Umstände des jeweiligen Falles, insbesondere auf die Schwierigkeit/Komplexität des Falles, die Prozessführung durch Beschwerdeführer und Beschwerdegegner und auf die Bedeutung des vom Beschwerdeführer geltend gemachten Anspruchs ab. Der Gerichtshof entschied, dass die diesem Fall zu Grunde liegenden Tatsachen nicht geeignet seien, die Angemessenheit der Verfahrensdauer zu begründen.
Trotz dieser Feststellung einer Verletzung der EMRK durch Deutschland gewährte der Gerichtshof dem Beschwerdeführer keinen Anspruch auf Schadensersatz und/oder Schmerzensgeld gemäß Art. 41 EMRK. Ebenfalls in ständiger Rechtsprechung wurde diese Entscheidung in Bezug auf Schadensersatz damit begründet, dass der Gerichtshof nicht spekulieren könne, welche (materiellen) Folgen für den Beschwerdeführer eingetreten wären, wenn eine Verletzung von Art. 6 Absatz 1 EMRK nicht vorgelegen hätte. Hinsichtlich des Schmerzensgeldes sei die Feststellung einer Verletzung der Konvention ausreichende Genugtuung für den Beschwerdeführer für den von ihm erlittenen immateriellen Schaden.
Der Rechtssache Wimmer v. Germany, no. 60534/00 vom 24.02.2005 lag ein familienrechtlicher Rechtsstreit zu Grunde. Das Familiengericht Groß Gerau sprach am 25.11.1992 dem Beschwerdeführer Wimmer und der von ihm geschiedenen Ehefrau die gemeinsame elterliche Sorge für ihre beiden Kinder zu. Nach der Sprungrevision der geschiedenen Ehefrau des Beschwerdeführers wurde ihr am 6.7.1993 vom OLG Frankfurt/Main die alleinige elterliche Fürsorge zugesprochen. Hiergegen richtete sich der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde vom 9.8.1993. Das Bundesverfassungsgericht lehnte in dem am 20.1.2000 dem Beschwerdeführer zugegangenen Beschluss eine Entscheidung über seinen Antrag ab.
Der Beschwerdeführer wandte sich an den EGMR und rügte eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Absatz 1 EMRK, da über seine „Streitigkeit in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen“ nicht „innerhalb angemessener Frist“ verhandelt worden sei.
Der EGMR legte für die Bemessung der Verfahrensdauer „lediglich“ den vor dem Bundesverfassungsgericht benötigten Zeitraum zu Grunde und errechnete eine Dauer von etwa sechs Jahren und fünf Monaten.
Auch hier gelangte der Gerichtshof zu dem Schluss, dass diese Prozessdauer unter Berücksichtigung der besonderen Umstände dieses Falles nicht mehr als angemessen angesehen werden könne und bejahte damit eine Verletzung von Art. 6 Absatz 1 EMRK.
Bezüglich des vom Beschwerdeführer geltend gemachten Anspruchs auf Schmerzensgeld entschied der EGMR auch hier, dass die Feststellung einer Verletzung der Konvention dem Beschwerdeführer hinreichend „Ersatz“ für den von ihm erlittenen immateriellen Schaden verschaffe.
Autor: Liviu-Mihai Blaga, LL.M. Eur.
Anm.: Dieser Rechtsprechung folgend hat das selbst durch den EGMR gerügte Bundesverfassungsgericht in dieser Woche seinerseits den Bundesgerichtshof wie die Bundesanwaltschaft in einem weiteren Verfahren wegen überlanger Verfahrensdauer gerügt. Der dortige Beschuldigte sitzt seit August 2004 in Untersuchungshaft. Die oben benannten Urteile haben demzufolge bereits unmittelbaré Wirkung in Deutschland entfaltet.
N.H. Bayer 18.03.2005 (vom 01.03.2005)
Was die deutsche Justiz von deutschen Anwälten jederzeit als Selbstverständlichkeit voraussetzte, soll nun auch für die deutsche Richterschaft selbst gelten. Arbeitsüberlastung stellt nunmehr auch für Richter keinen Entschuldigungsgrund für übermäßig lange Bearbeitungszeiten dar, sondern kann zu einer Verletzung des Grundrechtes auf ein faires Verfahren führen. (Beitrag von RA Liviu-Mihai Blaga, LL.M. Eur.)
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat im Februar dieses Jahres zwei Urteile erlassen, welche die Bundesrepublik Deutschland betreffen. Beiden Urteilen liegt eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vom 4.11.1950 zu Grunde.
In der Rechtssache Uhl v. Germany, no. 64387/01 vom 10.02.2005 befanden die Straßburger Richter, dass über die gegen den Beschwerdeführer Uhl erhobene Anklage nicht „innerhalb angemessener Frist“ verhandelt worden sei. Dies stelle ein Verstoß gegen Art. 6 Absatz 1 EMRK dar, wonach jede Person u. a. ein Recht darauf habe, dass über eine gegen sie erhobene Anklage innerhalb angemessener Frist verhandelt werde.
Hinsichtlich der strafrechtlichen Verfahrensdauer berechnete der EGMR die neun Jahre und fünf Monate zählende Periode ab der Mitteilung des Finanzamtes Frankfurt/Main über die Einleitung des Strafverfahrens am 10.01.1991 bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Ablehnung der Verfassungsbeschwerde am 15.06.2000. Das Verfahren erstreckte sich über vier Instanzen.
Für die Beurteilung der Angemessenheit dieser Verfahrensdauer stellte der EGMR in ständiger Rechtsprechung auf die besonderen Umstände des jeweiligen Falles, insbesondere auf die Schwierigkeit/Komplexität des Falles, die Prozessführung durch Beschwerdeführer und Beschwerdegegner und auf die Bedeutung des vom Beschwerdeführer geltend gemachten Anspruchs ab. Der Gerichtshof entschied, dass die diesem Fall zu Grunde liegenden Tatsachen nicht geeignet seien, die Angemessenheit der Verfahrensdauer zu begründen.
Trotz dieser Feststellung einer Verletzung der EMRK durch Deutschland gewährte der Gerichtshof dem Beschwerdeführer keinen Anspruch auf Schadensersatz und/oder Schmerzensgeld gemäß Art. 41 EMRK. Ebenfalls in ständiger Rechtsprechung wurde diese Entscheidung in Bezug auf Schadensersatz damit begründet, dass der Gerichtshof nicht spekulieren könne, welche (materiellen) Folgen für den Beschwerdeführer eingetreten wären, wenn eine Verletzung von Art. 6 Absatz 1 EMRK nicht vorgelegen hätte. Hinsichtlich des Schmerzensgeldes sei die Feststellung einer Verletzung der Konvention ausreichende Genugtuung für den Beschwerdeführer für den von ihm erlittenen immateriellen Schaden.
Der Rechtssache Wimmer v. Germany, no. 60534/00 vom 24.02.2005 lag ein familienrechtlicher Rechtsstreit zu Grunde. Das Familiengericht Groß Gerau sprach am 25.11.1992 dem Beschwerdeführer Wimmer und der von ihm geschiedenen Ehefrau die gemeinsame elterliche Sorge für ihre beiden Kinder zu. Nach der Sprungrevision der geschiedenen Ehefrau des Beschwerdeführers wurde ihr am 6.7.1993 vom OLG Frankfurt/Main die alleinige elterliche Fürsorge zugesprochen. Hiergegen richtete sich der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde vom 9.8.1993. Das Bundesverfassungsgericht lehnte in dem am 20.1.2000 dem Beschwerdeführer zugegangenen Beschluss eine Entscheidung über seinen Antrag ab.
Der Beschwerdeführer wandte sich an den EGMR und rügte eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Absatz 1 EMRK, da über seine „Streitigkeit in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen“ nicht „innerhalb angemessener Frist“ verhandelt worden sei.
Der EGMR legte für die Bemessung der Verfahrensdauer „lediglich“ den vor dem Bundesverfassungsgericht benötigten Zeitraum zu Grunde und errechnete eine Dauer von etwa sechs Jahren und fünf Monaten.
Auch hier gelangte der Gerichtshof zu dem Schluss, dass diese Prozessdauer unter Berücksichtigung der besonderen Umstände dieses Falles nicht mehr als angemessen angesehen werden könne und bejahte damit eine Verletzung von Art. 6 Absatz 1 EMRK.
Bezüglich des vom Beschwerdeführer geltend gemachten Anspruchs auf Schmerzensgeld entschied der EGMR auch hier, dass die Feststellung einer Verletzung der Konvention dem Beschwerdeführer hinreichend „Ersatz“ für den von ihm erlittenen immateriellen Schaden verschaffe.
Autor: Liviu-Mihai Blaga, LL.M. Eur.
Anm.: Dieser Rechtsprechung folgend hat das selbst durch den EGMR gerügte Bundesverfassungsgericht in dieser Woche seinerseits den Bundesgerichtshof wie die Bundesanwaltschaft in einem weiteren Verfahren wegen überlanger Verfahrensdauer gerügt. Der dortige Beschuldigte sitzt seit August 2004 in Untersuchungshaft. Die oben benannten Urteile haben demzufolge bereits unmittelbaré Wirkung in Deutschland entfaltet.
N.H. Bayer 18.03.2005 (vom 01.03.2005)