Deutsches und Europäisches Gesellschaftsrecht (Rechtsprechung) zu den Offenlegungspflichten der GmbH & Co. KG (Newsticker)
vom 10.11.2004
Am 27.11.2004 titulierte die Financial Times im The-Sun-Stil bezeichnend "Mittelstand under fire again" und zitierte den nachfolgenden Beschluss des Europäischen Gerichtshofs zu den Bilanzoffenlegungspflichten der deutschen GmbH & Co KGs. Der lesenswerte Beschluss markiert einen weiteren Schritt in Richtung Vereinheitlichung des bis dato weiterhin völlig zersplitterten europäischen Gesellschaftsrechts, der mittelständische deutsche Unternehmen das Fürchten lehrt und klarstellt, was ohnehin schon in Deutschland Rechtspraxis sein sollte, aber bislang nur von 10% der mittelständischen deutschen Gesellschaften in die Praxis umgesetzt worden war. (Einzelheiten zu den Offenlegungspflichten in Deutschland und Frankreich)
Am 27.11.2004 titulierte die Financial Times im The-Sun-Stil bezeichnend "Mittelstand under fire again" und zitierte den nachfolgenden Beschluss des Europäischen Gerichtshofs zu den Bilanzoffenlegungspflichten der deutschen GmbH & Co KGs. Der lesenwerte Beschluss markiert einen weiteren Schritt in Richtung Vereinheitlichung des bis dato weiterhin völlig zersplitterten europäischen Gesellschaftsrechts, der mittelständische deutsche Unternehmen das Fürchten lehrt und klarstellt, was ohnehin schon in Deutschland Rechtspraxis sein sollte, aber bislang nur von 10% der mittelständischen deutschen Gesellschaften in die Praxis umgesetzt worden war.
Da der Beschluss hervorragend und leicht nachvollziehbar formuliert ist, enthalten wir uns überflüssiger Kommentierungen und wünschen Ihnen nachfolgend viel Spass beim Lesen.
Kurzmeldung von
Nils H. Bayer
Rechtsanwalt & Avocat à la Cour
BESCHLUSS DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)
23. September 2004(1)
„Artikel 104 § 3 der Verfahrensordnung - Gesellschaftsrecht - Richtlinie 90/605/EWG zur Änderung des Anwendungsbereichs der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG - Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 44 Absatz 2 Buchstabe g EG) - Gesellschaft mit der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft, bei der alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter die Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung haben - GmbH & Co. KG - Offenlegung der Jahresabschlüsse - Möglichkeit für Dritte, diese Unterlagen einzusehen - Begriff des Dritten - Einbeziehung u. a. der Konkurrenten - Gültigkeit - Rechtsgrundlage - Grundsätze der freien Berufsausübung, der Pressefreiheit und der Gleichbehandlung“
In den verbundenen Rechtssachen C-435/02 und C-103/03
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG
eingereicht vom Landgericht Essen (Deutschland) und vom Landgericht Hagen (Deutschland) mit Beschlüssen vom 25. November 2002 und 11. Februar 2003, eingegangen am 2. Dezember 2002 und 5. März 2003, in den Verfahren
Axel Springer AG
gegen
Zeitungsverlag Niederrhein GmbH & Co. Essen KG (C-435/02),
und
Axel Springer AG
gegen
Hans-Jürgen Weske (C-103/03),
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans (Berichterstatter), der Richter J.-P. Puissochet und R. Schintgen sowie der Richterinnen F. Macken und N. Colneric,
Generalanwalt: F. G. Jacobs,
Kanzler: R. Grass,
nach Mitteilung an die vorlegenden Gerichte, dass der Gerichtshof gemäß Artikel 104 § 3 seiner Verfahrensordnung durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden beabsichtigt,
nach Aufforderung der Beteiligten im Sinne von Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes zur Einreichung etwaiger Stellungnahmen,
nach Anhörung des Generalanwalts
folgenden
Beschluss
1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Gültigkeit der Richtlinie 90/605/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG über den Jahresabschluss bzw. den konsolidierten Abschluss hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs (ABl. L 317, S. 60).
2
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten der Axel Springer AG (im Folgenden: Springer) gegen die Zeitungsverlag Niederrhein GmbH & Co. Essen KG (im Folgenden: Zeitungsverlag Niederrhein) (C-435/02) und gegen Herrn Weske, den Geschäftsführer der Radio Ennepe-Ruhr-Kreis mbH & Co. KG (im Folgenden: Radio Ennepe) (C-103/03), wegen Anträgen von Springer auf Einsicht in die Jahresabschlüsse des Zeitungsverlags Niederrhein und von Radio Ennepe.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsregelung
3
Nach Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 44 Absatz 2 Buchstabe g EG) wirken der Rat der Europäischen Union und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften auf die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit hin, indem sie, soweit erforderlich, die Schutzbestimmungen koordinieren, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 EG-Vertrag (jetzt Artikel 48 Absatz 2 EG) im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten.
4
Die Richtlinie 90/605 erging zur Änderung des Anwendungsbereichs u. a. der Vierten Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (ABl. L 222, S. 11, im Folgenden: Vierte Gesellschaftsrichtlinie).
5
Die Vierte Gesellschaftsrichtlinie schreibt Maßnahmen zur Koordinierung der nationalen Vorschriften über den Jahresabschluss von Kapitalgesellschaften vor. Sie gilt in Deutschland für Gesellschaften folgender Rechtsformen: Aktiengesellschaft, Kommanditgesellschaft auf Aktien und Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
6
Die Artikel 1 und 2 der Richtlinie 90/605 erstrecken die Anwendung der durch die Vierte Gesellschaftsrichtlinie vorgeschriebenen Koordinierungsmaßnahmen u. a. auf bestimmte Formen von Personengesellschaften, darunter in Deutschland die Kommanditgesellschaft, sofern alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter dieser Gesellschaften Kapitalgesellschaften sind, die eine der in der vorstehenden Randnummer dieses Urteils genannten Rechtsformen haben.
7
Die Richtlinie 90/605 erstreckt somit in Deutschland die Anwendung der durch die Vierte Gesellschaftsrichtlinie vorgeschriebenen Koordinierungsmaßnahmen u. a. auf Gesellschaften mit der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft, bei denen alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter die Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung haben (im Folgenden: GmbH & Co. KG).
8
Diese Gesellschaftsform unterliegt daher u. a. Artikel 47 Absatz 1 der Vierten Gesellschaftsrichtlinie in der Fassung des Artikels 38 Absatz 3 der Siebenten Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages über den konsolidierten Abschluss (ABl. L 193, S. 1), der bestimmt:
„Der ordnungsgemäß gebilligte Jahresabschluss und der Lagebericht sowie der Bericht der mit der Abschlussprüfung beauftragten Person sind nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG vorgesehenen Verfahren offen zu legen.
Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates können jedoch den Lagebericht von der genannten Offenlegung freistellen. In diesem Fall ist der Lagebericht am Sitz der Gesellschaft in dem betreffenden Mitgliedstaat zur Einsichtnahme für jedermann bereitzuhalten. Eine vollständige oder teilweise Ausfertigung dieses Berichts muss auf bloßen Antrag erhältlich sein. Das dafür berechnete Entgelt darf die Verwaltungskosten nicht übersteigen.“
9
Artikel 3 Absätze 1 bis 3 der Ersten Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. L 65, S. 8, im Folgenden: Erste Gesellschaftsrichtlinie), lautet:
„(1) In jedem Mitgliedstaat wird entweder bei einem zentralen Register oder bei einem Handels- oder Gesellschaftsregister für jede der dort eingetragenen Gesellschaften eine Akte angelegt.
(2) Alle Urkunden und Angaben, die nach Artikel 2 der Offenlegung unterliegen, sind in dieser Akte zu hinterlegen oder in das Register einzutragen; der Gegenstand der Eintragungen in das Register muss in jedem Fall aus der Akte ersichtlich sein.
(3) Vollständige oder auszugsweise Abschriften der in Artikel 2 bezeichneten Urkunden oder Angaben sind auf schriftliches Verlangen zuzusenden. Die Gebühren für die Erteilung dieser Abschriften dürfen die Verwaltungskosten nicht übersteigen.
…“
10
Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f der Ersten Gesellschaftsrichtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit sich die Pflicht zur Offenlegung hinsichtlich der Gesellschaften mindestens auf folgende Urkunden und Angaben erstreckt:
...
f) die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung für jedes Geschäftsjahr …“
Nationale Regelung
11
Der Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 22. April 1999 in der Rechtssache C-272/97 (Kommission/Deutschland, Slg. 1999, I-2175) festgestellt, dass die Richtlinie 90/605 nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist in deutsches Recht umgesetzt worden war.
12
Das deutsche Recht, insbesondere das Handelsgesetzbuch (HGB), wurde seitdem geändert, damit sich die durch die Vierte Gesellschaftsrichtlinie vorgeschriebenen Koordinierungsmaßnahmen nun u. a. auf die GmbH & Co. KG erstrecken (§ 264a HGB).
13
Die neue Regelung sieht außerdem vor, dass Verletzungen der vorgeschriebenen Verpflichtungen zu Ordnungsgeldern von mindestens 2 500 Euro und höchstens 25 000 Euro führen, die vom Amtsgericht, dem in Deutschland für die Führung des Handelsregisters zuständigen Gericht, festgesetzt werden.
14
Diese Ordnungsgelder können jedoch nur auf einen beim Amtsgericht gestellten Antrag hin festgesetzt werden. Der Kreis der Personen, die einen solchen Antrag stellen können, ist hingegen nicht beschränkt, so dass jeder dazu berechtigt ist (§§ 335a und 335b HGB).
Ausgangsverfahren und Vorabentscheidungsfragen
15
Springer beantragte bei den örtlich zuständigen Amtsgerichten, den Zeitungsverlag Niederrhein, ein im Presse- und Verlagswesen tätiges Unternehmen, und Radio Ennepe, ein im Rundfunkbereich tätiges Unternehmen, mittels Festsetzung von Zwangsgeldern zur Vorlage ihrer Jahresabschlüsse anzuhalten, damit Springer sie einsehen konnte.
16
Die angerufenen Gerichte gaben diesen Anträgen mit Verfügungen statt, mit denen die beantragten Anordnungen getroffen und den Geschäftsführern der Gesellschaften, Herrn Glandt und Herrn Weske, Ordnungsgelder in Höhe von 5 000 Euro für den Fall angedroht wurden, dass die Unterlagen nicht innerhalb der gesetzten Frist eingereicht würden.
17
Da die Jahresabschlüsse nicht fristgemäß eingereicht wurden, wurden durch Beschlüsse die Ordnungsgelder festgesetzt.
18
Der Zeitungsverlag Niederrhein und Herr Glandt sowie Herr Weske legten daraufhin Beschwerden gegen diese Beschlüsse bei den vorlegenden Gerichten ein.
19
Diese sind der Auffassung, dass die bei ihnen anhängigen Rechtssachen Zweifel an der Gültigkeit der Richtlinie 90/605 aufwerfen.
20
In der Rechtssache C-435/02 hat das Landgericht Essen das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1.
Ist die Richtlinie 90/605/EWG in Verbindung mit Artikel 47 der Richtlinie 78/660/EWG insoweit mit dem Gemeinschaftsgrundrecht der Berufsfreiheit vereinbar, als dadurch die Kommanditgesellschaften, deren persönlich haftender Gesellschafter eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist, verpflichtet werden, den Jahresabschluss und den Lagebericht insbesondere ohne Beschränkung des Kreises der zur Einsichtnahme berechtigten Personen offen zu legen?
2.
Ist die Richtlinie 90/605/EWG in Verbindung mit Artikel 47 der Richtlinie 78/660/EWG insoweit mit den Gemeinschaftsgrundrechten der Presse- und Rundfunkfreiheit vereinbar, als dadurch die Kommanditgesellschaften, deren persönlich haftender Gesellschafter eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist und die im Bereich des Presse- und Verlagswesens bzw. im Rundfunkbereich tätig sind, verpflichtet werden, den Jahresabschluss und den Lagebericht insbesondere ohne Beschränkung des Kreises der zur Einsichtnahme berechtigten Personen offen zu legen?
3.
Ist die Richtlinie 90/605/EWG insoweit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar, als sie zu einer Benachteiligung der Kommanditgesellschaften, deren Komplementär eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist, gegenüber Kommanditgesellschaften, deren Komplementär eine natürliche Person ist, führt, obwohl die Gläubiger der GmbH & Co. KG durch die Offenlegungspflicht der GmbH besser geschützt werden als Gläubiger einer Kommanditgesellschaft, deren Komplementär als natürliche Person keinen Offenlegungspflichten unterliegt?
21
In der Rechtssache C-103/03 hat das Landgericht Hagen ebenfalls das Verfahren ausgesetzt und dieselben drei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, denen es folgende erste Frage vorangestellt hat:
Konnte sich die Europäische Gemeinschaft zum Erlass der KapCoRiLi (Richtlinie 90/605/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG über den Jahresabschluss bzw. den konsolidierten Abschluss hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs) auf Artikel 54 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 3 Buchstabe g EG-Vertrag stützen, obwohl diese Richtlinie Einsichtsrechte auch für nicht schutzbedürftige Dritte gewährt?
22
Wegen ihres Zusammenhangs werden die Rechtssachen C-435/02 und C-103/03 zu gemeinsamer Entscheidung durch Beschluss verbunden.
Zu den Vorabentscheidungsfragen
23
Da die Antwort auf die erste in der Rechtssache C-103/03 vorgelegte Frage klar aus dem Urteil vom 4. Dezember 1997 in der Rechtssache C-97/96 (Daihatsu Deutschland, Slg. 1997, I-6843) abgeleitet werden kann und die Beantwortung der übrigen in der Rechtssache C-103/03 sowie der in der Rechtssache C-435/02 vorgelegten Fragen keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, hat der Gerichtshof die vorlegenden Gerichte gemäß Artikel 104 § 3 seiner Verfahrensordnung darüber unterrichtet, dass er beabsichtigt, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden, und den in Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes bezeichneten Beteiligten Gelegenheit gegeben, sich hierzu zu äußern.
24
In der Rechtssache C-435/02 hat der Rat daraufhin erklärt, dass er keine Einwände dagegen habe, dass der Gerichtshof durch mit Gründen versehenen Beschluss entscheide. Dagegen haben in den Rechtssachen C-435/02 und C-103/03 der Zeitungsverlag Niederrhein und Herr Weske Einwände erhoben und sich dabei auf das Vorbringen in ihren schriftlichen Erklärungen bezogen. Dies hat den Gerichtshof jedoch nicht veranlasst, von dem beabsichtigten Verfahrensweg abzuweichen.
Zur ersten Frage in der Rechtssache C-103/03
25
Mit seiner ersten Frage in der Rechtssache C-103/03 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 90/605, soweit sich daraus ergibt, dass jeder die Möglichkeit hat, den Jahresabschluss und den Lagebericht der von ihr erfassten Gesellschaftsformen einzusehen, ohne ein schutzbedürftiges Recht oder Interesse belegen zu müssen, wirksam auf der Grundlage des Artikels 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages erlassen werden konnte.
26
Herr Weske macht geltend, dass der Kreis der nach Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages zu schützenden Dritten sowohl die Personen einschließe, die eine Rechtsbeziehung zu der Gesellschaft hätten, als auch diejenigen, die eine solche Beziehung erst begründen wollten, und damit auch potenzielle Gesellschafter, Beschäftigte oder Gläubiger.
27
Diese Vorschrift erlaube jedoch nicht, dass der Kreis der Dritten so definiert werde, dass er jedermann unabhängig von seiner Stellung einschließe. Die im Urteil Daihatsu Deutschland vertretene weite Auslegung dieses Begriffes des Dritten sei daher nicht frei von Bedenken.
28
Hierzu ist festzustellen, dass, wie der Rat und die Kommission vortragen, die Antwort auf diese Frage klar aus dem Urteil Daihatsu Deutschland abgeleitet werden kann.
29
Nach den Randnummern 19 und 20 des genannten Urteils ist nämlich in Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages selbst vom Ziel des Schutzes der Interessen Dritter ganz allgemein die Rede, ohne dass insoweit einzelne Gruppen unterschieden oder ausgeschlossen würden, so dass der Begriff der Dritten im Sinne dieses Artikels nicht auf die Gläubiger der Gesellschaft beschränkt werden kann.
30
In Randnummer 21 des Urteils Daihatsu Deutschland hat der Gerichtshof ferner festgestellt, dass das Ziel, die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit aufzuheben, das dem Rat und der Kommission durch Artikel 54 Absätze 1 und 2 des Vertrages in sehr weit gefassten Wendungen aufgegeben ist, nicht durch Artikel 54 Absatz 3 des Vertrages eingeschränkt wird, da dieser, wie die Verwendung des Wortes „insbesondere“ in Artikel 54 Absatz 3 belegt, lediglich eine nicht abschließende Liste von Maßnahmen enthält, die zur Verwirklichung dieses Zieles zu ergreifen sind.
31
Weiter hat der Gerichtshof in Randnummer 22 des genannten Urteils erklärt, dass die Bestimmungen des Artikels 3 der Ersten Gesellschaftsrichtlinie, die die Führung eines öffentlichen Registers, in das alle offen zu legenden Urkunden und Angaben einzutragen sind, sowie für jedermann die Möglichkeit vorsehen, Abschriften der Jahresabschlüsse zugesandt zu bekommen, das in der vierten Begründungserwägung dieser Richtlinie zum Ausdruck gebrachte Bestreben bestätigen, diese Informationen jedem Dritten zugänglich zu machen, der die buchhalterische und finanzielle Situation der Gesellschaft nicht hinreichend kennt oder kennen kann.
32
In derselben Randnummer hat der Gerichtshof hinzugefügt, dass dieses Bestreben auch in den Begründungserwägungen der Vierten Gesellschaftsrichtlinie Ausdruck findet, in denen auf das Erfordernis hingewiesen wird, hinsichtlich des Umfangs der zu veröffentlichenden finanziellen Angaben in der Gemeinschaft gleichwertige rechtliche Mindestbedingungen für miteinander im Wettbewerb stehende Gesellschaften herzustellen (siehe insbesondere die dritte Begründungserwägung).
33
Aus dem Urteil Daihatsu Deutschland ergibt sich somit klar, dass die durch Artikel 3 der Ersten Gesellschaftsrichtlinie vorgeschriebenen Offenlegungspflichten, auf die sich Artikel 47 Absatz 1 der Vierten Gesellschaftsrichtlinie bezieht und die durch die Richtlinie 90/605 auf bestimmte Formen von Personengesellschaften wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende erstreckt werden, bedeuten, dass jeder die Möglichkeit hat, den Jahresabschluss und den Lagebericht der von der Richtlinie erfassten Gesellschaftsformen einzusehen, ohne ein schutzbedürftiges Recht oder Interesse belegen zu müssen.
34
Aus den Randnummern 21 und 22 des genannten Urteils geht ferner klar hervor, dass ein Gemeinschaftsrechtsakt, der derartige Offenlegungspflichten vorsieht, auf der Grundlage des Artikels 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages erlassen werden konnte, da in dieser Vorschrift, die dem Gemeinschaftsgesetzgeber weitreichende Befugnisse verleiht, vom Ziel des Schutzes der Interessen Dritter ganz allgemein die Rede ist, ohne dass insoweit einzelne Gruppen unterschieden oder ausgeschlossen würden, so dass sich der Begriff des Dritten im Sinne dieses Artikels auf alle Dritten bezieht. Folglich ist dieser Begriff weit auszulegen und erfasst u. a. die Konkurrenten der betreffenden Gesellschaften.
35
Somit ist auf die erste Frage in der Rechtssache C-103/03 zu antworten, dass die Richtlinie 90/605, soweit sich daraus ergibt, dass jeder die Möglichkeit hat, den Jahresabschluss und den Lagebericht der von ihr erfassten Gesellschaftsformen einzusehen, ohne ein schutzbedürftiges Recht oder Interesse belegen zu müssen, wirksam auf der Grundlage des Artikels 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages erlassen werden konnte.
Zu den ersten beiden Fragen in der Rechtssache C-435/02 sowie der zweiten und der dritten Frage in der Rechtssache C-103/03
36
Mit den ersten beiden Fragen in der Rechtssache C-435/02 sowie der zweiten und der dritten Frage in der Rechtssache C-103/03, die zusammen zu prüfen sind, möchten die vorlegenden Gerichte im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 90/605, soweit sich daraus ergibt, dass jeder die Möglichkeit hat, den Jahresabschluss und den Lagebericht von Unternehmen, die eine der von ihr erfassten Gesellschaftsformen haben und ihre Tätigkeit wie im vorliegenden Fall im Presse- oder Verlagswesen oder im Rundfunkbereich ausüben, einzusehen, ohne ein schutzbedürftiges Recht oder Interesse belegen zu müssen, mit den allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen der Berufs- und der Pressefreiheit vereinbar ist.
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
37
Der Zeitungsverlag Niederrhein und Herr Weske machen geltend, dass die Richtlinie 90/605 in Verbindung mit Artikel 47 der Vierten Gesellschaftsrichtlinie ein legitimes Gemeinwohlziel verfolge, da die durch sie vorgeschriebenen Offenlegungspflichten dem Schutz der Gesellschafter, der Beschäftigten und der Gläubiger der Gesellschaft dienten.
38
Die Einbeziehung aller interessierten Personen einschließlich der Konkurrenten in den Kreis der zur Einsicht in die betreffenden Unterlagen Berechtigten sei jedoch insbesondere im Hinblick auf das berechtigte Interesse der Gesellschaft an der Geheimhaltung bestimmter Daten eine unangemessene Belastung. Die Richtlinie 90/605 sei daher mit dem Gemeinschaftsgrundrecht der Berufsfreiheit unvereinbar und folglich ungültig.
39
Der Zeitungsverlag Niederrhein und Herr Weske tragen ferner vor, dass die Freiheit der Meinungsäußerung als durch das Gemeinschaftsrecht garantiertes Grundrecht die gesamte Betätigung der Presse- und der Rundfunkunternehmen schütze.
40
Da die Richtlinie 90/605 und die Vierte Gesellschaftsrichtlinie keinen besonderen Schutz für Presse- und Rundfunkunternehmen enthielten, indem sie Ausnahmen von den in ihnen vorgesehenen Offenlegungspflichten bestimmten, seien sie unvereinbar mit der Meinungsfreiheit.
41
Die belgische Regierung macht geltend, dass die durch die Richtlinie 90/506 vorgeschriebene Verpflichtung zur Offenlegung des Jahresabschlusses dadurch gerechtfertigt sei, dass Dritte im Fall der von der Richtlinie erfassten Gesellschaften nur begrenzt auf den Gesellschafter Rückgriff nehmen könnten, da dieser eine juristische Person mit beschränkter Haftung sei.
42
Die Kommission bezieht sich auf die ersten drei Begründungserwägungen der Vierten Gesellschaftsrichtlinie, aus denen insbesondere hervorgehe, dass die Vorschriften über die Offenlegung des Jahresabschlusses und des Lageberichts notwendig seien, weil die Gesellschaftsformen, für die diese Vorschriften gälten, Dritten eine Sicherheit nur durch ihr Gesellschaftsvermögen böten, und dass es erforderlich sei, hinsichtlich des Umfangs der zu veröffentlichenden finanziellen Angaben in der Gemeinschaft gleichwertige rechtliche Mindestbedingungen für miteinander im Wettbewerb stehende Unternehmen herzustellen.
43
Die Einbeziehung u. a. der Konkurrenten in den Kreis der zur Einsichtnahme in die fraglichen Dokumente berechtigten Personen sei ein erforderliches und angemessenes Mittel zur Erreichung des sowohl in diesen Begründungserwägungen als auch in Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages in seiner Auslegung durch den Gerichtshof im Urteil Daihatsu Deutschland genannten Zieles, nämlich des Schutzes nicht nur der Gesellschafter, sondern auch Dritter.
44
Die Kommission trägt ferner vor, dass die Frage bezüglich des allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Berufsfreiheit im vorliegenden Fall die Frage bezüglich des allgemeinen Grundsatzes der Pressefreiheit umfasse.
45
Der Rat macht geltend, dass die Richtlinie 90/605 keinen unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstelle, der das Recht auf freie Berufsausübung in seinem Wesensgehalt antaste.
46
Außerdem verstoße die durch die Richtlinie 90/605 vorgeschriebene Offenlegungspflicht in keiner Weise gegen die Pressefreiheit, wie sie insbesondere in Artikel 10 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankert sei, da sie in keiner Weise den Inhalt der Informationen oder Ideen berühre, die von einer unter die Richtlinie fallenden Gesellschaft mitgeteilt würden.
Antwort des Gerichtshofes
47
Zunächst ist festzustellen, dass die Frage, ob die Offenlegungspflichten, die den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Personengesellschaften auferlegt sind, mit der Freiheit der Meinungsäußerung vereinbar sind, in der Frage nach der Vereinbarkeit dieser Verpflichtungen mit der freien Berufsausübung aufgeht. Die betreffenden Verpflichtungen gelten nämlich für alle Unternehmen mit einer bestimmten Gesellschaftsform unabhängig von der Art ihrer Tätigkeiten. Sie weisen zudem keinen hinreichend direkten und speziellen Zusammenhang mit einer Tätigkeit auf, die unter die Freiheit der Meinungsäußerung fällt. Es handelt sich im Wesentlichen um eine Regelung, die die betreffenden Gesellschaften unabhängig von der ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit berührt.
48
Der Gerichtshof hat entschieden, dass sowohl das Eigentumsrecht als auch die freie Berufsausübung zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehören. Nach dieser Rechtsprechung kann aber die Ausübung dieser Rechte Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der diese Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet (vgl. Urteile vom 5. Oktober 1994 in der Rechtssache C-280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-4973, Randnr. 78, und vom 10. Juli 2003 in den Rechtssachen C-20/00 und C-64/00, Booker Aquaculture und Hydro Seafood, Slg. 2003, I-7411, Randnr. 68, und die dort zitierte Rechtsprechung).
49
Unter diesen Voraussetzungen erscheint selbst dann, wenn die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Offenlegungspflichten eine hinreichend direkte und bedeutsame Auswirkung auf die freie Berufsausübung haben sollten, die Beschränkung, zu der sie führen, insbesondere die Beschränkung des Rechts eines Unternehmens, bestimmte potenziell sensible Daten geheim zu halten, auf jeden Fall eindeutig gerechtfertigt.
50
Nach den ersten drei Begründungserwägungen der Vierten Gesellschaftsrichtlinie verfolgen nämlich die Offenlegungsvorschriften, die die Richtlinie für bestimmte Formen von Kapitalgesellschaften vorsieht, das zweifache, dem Gemeinwohl dienende Ziel des Artikels 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages, Dritte vor den finanziellen Risiken zu schützen, die mit Gesellschaftsformen verbunden sind, die ihnen eine Sicherheit nur durch ein Gesellschaftsvermögen bieten, und hinsichtlich des Umfangs der zu veröffentlichenden finanziellen Angaben in der Gemeinschaft gleichwertige rechtliche Mindestbedingungen für miteinander im Wettbewerb stehende Gesellschaften herzustellen.
51
Die Richtlinie 90/605 soll nach ihren ersten fünf Begründungserwägungen speziell einer Praxis begegnen, die darin besteht, dass die rechtliche Regelung dadurch umgangen wird, dass eine beträchtliche und weiter steigende Zahl von Gesellschaften in Form von Personengesellschaften errichtet wird, bei denen alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter die Rechtsform von Kapitalgesellschaften haben, um sich der Wirkung der für diese Gesellschaften geltenden Offenlegungsvorschriften zu entziehen, d. h. einer Praxis, die somit dem oben genannten Ziel der Vierten Gesellschaftsrichtlinie zuwiderläuft, Dritte vor den finanziellen Risiken der Gesellschaftsformen zu schützen, die ihnen eine Sicherheit nur durch ein Gesellschaftsvermögen bieten.
52
Folglich entsprechen die durch die Richtlinie 90/605 vorgeschriebenen Maßnahmen tatsächlich den Zielen des Artikels 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages und damit im Sinne der in Randnummer 48 dieses Beschlusses zitierten Rechtsprechung dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft.
53
Der Nachteil, zu dem die durch diese Offenlegungsvorschriften auferlegten Verpflichtungen führen könnten, erscheint im Übrigen begrenzt. Es erscheint nämlich zweifelhaft, ob diese Vorschriften geeignet sind, die Wettbewerbsstellung der betreffenden Gesellschaften zu ändern, anders als dies in der dem Urteil Deutschland/Rat vom 5. Oktober 1994 (Randnr. 81) zugrunde liegenden Rechtssache der Fall war.
54
Diese Beurteilung wird durch die Vorschriften der Vierten Gesellschaftsrichtlinie, insbesondere die Artikel 11, 27 und 44 bis 47, bestätigt, die die Möglichkeit vorsehen, die Informationen, die im Jahresabschluss und im Jahresbericht von Gesellschaften, die die Grenzen bestimmter Größenmerkmale nicht überschreiten, enthalten sein müssen, und die Offenlegung der Abschlüsse dieser Gesellschaften zu beschränken. Darüber hinaus soll Artikel 45 dieser Richtlinie insbesondere verhindern, dass den betreffenden Unternehmen durch die Offenlegung bestimmter Daten ein erheblicher Nachteil zugefügt wird.
55
Ferner können nach Artikel 46 der Richtlinie die Angaben, die im Lagebericht enthalten sein müssen, allgemein gehalten sein, so dass es entgegen dem Vorbringen des Zeitungsverlags Niederrhein und von Herrn Weske nicht erforderlich ist, bestimmte sensible Daten, aus denen z. B. die Berechnungsgrundlage der Preise hervorgehen kann, detailliert mitzuteilen.
56
Im Übrigen werden durch die Offenlegung des Jahresabschlusses von Kapitalgesellschaften, die die einzigen unbeschränkt haftenden Gesellschafter einer von der Richtlinie 90/605 erfassten Personengesellschaft wie derjenigen sind, die wie in den Ausgangsverfahren die Form einer GmbH & Co. KG hat, im vorliegenden Fall also des Jahresabschlusses von Gesellschaften mit beschränkter Haftung, nur Angaben über die Lage der betreffenden Gesellschafter und keine Angaben über die Lage der Personengesellschaft mitgeteilt. Sie macht daher die Veröffentlichung des Jahresabschlusses der letztgenannten Gesellschaft nicht überflüssig.
57
Zudem können nach dem durch Artikel 1 Nummer 4 der Richtlinie 90/605 in die Vierte Gesellschaftsrichtlinie eingefügten Artikel 57a Personengesellschaften wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden GmbH & Co. KGs von den Offenlegungspflichten befreit werden, wenn ihre Abschlüsse zusammen mit denen eines ihrer unbeschränkt haftenden Gesellschafter offen gelegt werden müssen oder in die konsolidierten Abschlüsse einer Gruppe von Gesellschaften einbezogen sind.
58
Unter diesen Voraussetzungen stellt die Verpflichtung im Bereich der Offenlegung des Jahresabschlusses und des Lageberichts, die Personengesellschaften wie denjenigen auferlegt ist, die die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Rechtsform einer GmbH & Co. KG haben, keinen unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff dar, der die freie Berufsausübung in ihrem Wesensgehalt antastet.
59
Nach alledem ist auf die ersten beiden Fragen in der Rechtssache C-435/02 sowie die zweite und die dritte Frage in der Rechtssache C-103/03 zu antworten, dass die Prüfung dieser Fragen am Maßstab der allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze der freien Berufsausübung und der Freiheit der Meinungsäußerung nichts ergeben hat, was die Gültigkeit der Richtlinie 90/605 beeinträchtigen könnte.
Zur dritten Frage in der Rechtssache C-435/02 und zur vierten Frage in der Rechtssache C-103/03
60
Mit der dritten Frage in der Rechtssache C-435/02 und der vierten Frage in der Rechtssache C-103/03 möchten die vorlegenden Gerichte im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 90/605 mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar ist, soweit sie Kommanditgesellschaften, bei denen alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter die Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung haben, Verpflichtungen zur Offenlegung des Jahresabschlusses auferlegt. Diese Gesellschaften seien gegenüber Kommanditgesellschaften benachteiligt, bei denen mindestens ein unbeschränkt haftender Gesellschafter eine natürliche Person sei und die diesen Verpflichtungen nicht unterlägen, obwohl die Gläubiger von Gesellschaften mit der erstgenannten Gesellschaftsform besser geschützt seien als die Gläubiger von Gesellschaften mit der letztgenannten Form, da die Gesellschafter bei der erstgenannten Form als Gesellschaften mit beschränkter Haftung derartigen Offenlegungspflichten unterlägen, natürliche Personen jedoch nicht.
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
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Der Zeitungsverlag Niederrhein und Herr Weske machen geltend, dass die Offenlegungsvorschriften eine gravierende Ungleichbehandlung der Kommanditgesellschaften, bei denen mindestens ein unbeschränkt haftender Gesellschafter eine natürliche Person sei, und der Kommanditgesellschaften darstellten, bei denen alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter Gesellschaften mit beschränkter Haftung seien, wie die GmbH & Co. KG, und dass den letztgenannten Kommanditgesellschaften durch diese Situation erhebliche Nachteile entstünden.
62
Der Rat trägt vor, dass aus den ersten drei Begründungserwägungen der Richtlinie 90/605 hervorgehe, dass diese eine Lücke schließen solle, die sich aus den Vorschriften der Vierten Gesellschaftsrichtlinie ergebe und die nach Ansicht des Gesetzgebers im Widerspruch zu Sinn und Zweck Letzterer stehe, da eine ständig steigende Zahl von Gesellschaften wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kommanditgesellschaften nicht den Offenlegungspflichten unterliege, obwohl ihre Gläubiger nur gegen unbeschränkt haftende Gesellschafter mit der Rechtsform von Gesellschaften mit beschränkter Haftung vorgehen könnten, die Dritten eine Sicherheit nur durch ihr Gesellschaftsvermögen böten.
63
Im Hinblick auf Dritte bestehe ein grundlegender Unterschied zwischen solchen Kommanditgesellschaften und Kommanditgesellschaften, bei denen mindestens ein unbeschränkt haftender Gesellschafter eine natürliche Person sei, die für die Schulden der Gesellschaft mit ihrem gesamten Vermögen hafte.
64
Dass Kommanditgesellschaften wie der GmbH & Co. KG, bei denen alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter die Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung hätten, Offenlegungspflichten auferlegt würden, anderen Kommanditgesellschaften aber nicht, sei daher objektiv gerechtfertigt.
65
Die Kommission verweist auf denselben objektiven Unterschied zwischen den verschiedenen Kommanditgesellschaften und schließt daraus, dass die Richtlinie 90/605 keine Diskriminierung darstelle.
Antwort des Gerichtshofes
66
Zunächst ist daran zu erinnern, dass der allgemeine Grundsatz der Gleichbehandlung, der zu den wesentlichen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehört, verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden dürfen, sofern eine solche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt ist. (vgl. u. a. Urteil vom 9. September 2004 in der Rechtssache C-304/01, Spanien/Kommission, Slg. 2004, I-0000, Randnr. 31).
67
Wie aus Randnummer 51 dieses Beschlusses hervorgeht, beruht der Unterschied, den die Richtlinie 90/605 zwischen den von ihr erfassten Kommanditgesellschaften wie der GmbH & Co. KG und den Kommanditgesellschaften macht, zu deren unbeschränkt haftenden Gesellschaftern mindestens eine natürliche Person außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie gehört, auf der Erwägung, dass die erste Gruppe dieser Gesellschaften mittelbar dieselben Risiken für Dritte birgt wie die von der Vierten Gesellschaftsrichtlinie erfassten Kapitalgesellschaften, indem diese Gesellschaften Dritten eine Sicherheit nur durch ein Gesellschaftsvermögen bieten, was bei der zweiten Gruppe von Kommanditgesellschaften nicht der Fall ist.
68
Die Richtlinie 90/605 folgt derselben Logik wie die Vierte Gesellschaftsrichtlinie, deren Umgehung sie verhindern soll und zu der sie insoweit rein akzessorisch ist. In diesem Sinne ergänzt die Richtlinie 90/605 die Vierte Gesellschaftsrichtlinie, damit der Vorteil der Beschränkung der Haftung, den einige Gesellschaftsformen genießen, mit einer angemessenen Offenlegung zum Schutz der Interessen Dritter einhergeht.
69
Der Unterschied, den die Richtlinie 90/605 zwischen den beiden in Randnummer 67 dieses Beschlusses genannten Gruppen von Kommanditgesellschaften zur Festlegung des Anwendungsbereichs der Vierten Gesellschaftsrichtlinie und der durch diese Richtlinie auferlegten Offenlegungspflichten macht, ist daher aus Gründen des Schutzes der Interessen Dritter, eines wesentlichen Zieles der Richtlinie 90/605 und der Vierten Gesellschaftsrichtlinie, objektiv gerechtfertigt.
70
Diese Beurteilung wird nicht durch den von den vorlegenden Gerichten angeführten Umstand in Frage gestellt, dass die Gläubiger der von der Richtlinie 90/605 erfassten Kommanditgesellschaften bereits dadurch geschützt seien, dass die Gesellschafter als Gesellschaften mit beschränkter Haftung den in der Vierten Gesellschaftsrichtlinie vorgesehenen Offenlegungspflichten unterlägen, während diese Verpflichtungen nicht für natürliche Personen gälten.
71
Wie bereits in Randnummer 56 dieses Beschlusses festgestellt worden ist, liefert die Offenlegung des Jahresabschlusses von Kapitalgesellschaften, die die einzigen unbeschränkt haftenden Gesellschafter einer von der Richtlinie 90/605 erfassten Personengesellschaft wie derjenigen sind, die wie in den Ausgangsverfahren die Form einer GmbH & Co. KG hat, im vorliegenden Fall also des Jahresabschlusses von Gesellschaften mit beschränkter Haftung, nur Angaben über die Lage der betreffenden Gesellschafter und keine Angaben über die Lage der Personengesellschaft.
72
Nach alledem ist nicht ersichtlich, dass die Richtlinie 90/605 gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstößt.
73
Unter diesen Voraussetzungen ist auf die dritte Frage in der Rechtssache C-435/02 und die vierte Frage in der Rechtssache C-103/03 zu antworten, dass ihre Prüfung am Maßstab des Grundsatzes der Gleichbehandlung nichts ergeben hat, was die Gültigkeit der Richtlinie 90/605 beeinträchtigen könnte.
Kosten
74
Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Gerichte. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
1.
Die Richtlinie 90/605/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG über den Jahresabschluss bzw. den konsolidierten Abschluss hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs konnte, soweit sich daraus ergibt, dass jeder die Möglichkeit hat, den Jahresabschluss und den Lagebericht der von ihr erfassten Gesellschaftsformen einzusehen, ohne ein schutzbedürftiges Recht oder Interesse belegen zu müssen, wirksam auf der Grundlage des Artikels 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages (nach Änderung jetzt Artikel 44 Absatz 2 Buchstabe g EG) erlassen werden.
2.
Die Prüfung der ersten beiden Fragen in der Rechtssache C-435/02 sowie der zweiten und der dritten Frage in der Rechtssache C-103/03 am Maßstab der allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze der freien Berufsausübung und der Freiheit der Meinungsäußerung hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Richtlinie 90/605 beeinträchtigen könnte.
3.
Die Prüfung der dritten Frage in der Rechtssache C-435/02 und der vierten Frage in der Rechtssache C-103/03 am Maßstab des Grundsatzes der Gleichbehandlung hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Richtlinie 90/605 beeinträchtigen könnte.
Unterschriften.
(vom 10.11.2004)
Am 27.11.2004 titulierte die Financial Times im The-Sun-Stil bezeichnend "Mittelstand under fire again" und zitierte den nachfolgenden Beschluss des Europäischen Gerichtshofs zu den Bilanzoffenlegungspflichten der deutschen GmbH & Co KGs. Der lesenswerte Beschluss markiert einen weiteren Schritt in Richtung Vereinheitlichung des bis dato weiterhin völlig zersplitterten europäischen Gesellschaftsrechts, der mittelständische deutsche Unternehmen das Fürchten lehrt und klarstellt, was ohnehin schon in Deutschland Rechtspraxis sein sollte, aber bislang nur von 10% der mittelständischen deutschen Gesellschaften in die Praxis umgesetzt worden war. (Einzelheiten zu den Offenlegungspflichten in Deutschland und Frankreich)
Am 27.11.2004 titulierte die Financial Times im The-Sun-Stil bezeichnend "Mittelstand under fire again" und zitierte den nachfolgenden Beschluss des Europäischen Gerichtshofs zu den Bilanzoffenlegungspflichten der deutschen GmbH & Co KGs. Der lesenwerte Beschluss markiert einen weiteren Schritt in Richtung Vereinheitlichung des bis dato weiterhin völlig zersplitterten europäischen Gesellschaftsrechts, der mittelständische deutsche Unternehmen das Fürchten lehrt und klarstellt, was ohnehin schon in Deutschland Rechtspraxis sein sollte, aber bislang nur von 10% der mittelständischen deutschen Gesellschaften in die Praxis umgesetzt worden war.
Da der Beschluss hervorragend und leicht nachvollziehbar formuliert ist, enthalten wir uns überflüssiger Kommentierungen und wünschen Ihnen nachfolgend viel Spass beim Lesen.
Kurzmeldung von
Nils H. Bayer
Rechtsanwalt & Avocat à la Cour
BESCHLUSS DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)
23. September 2004(1)
„Artikel 104 § 3 der Verfahrensordnung - Gesellschaftsrecht - Richtlinie 90/605/EWG zur Änderung des Anwendungsbereichs der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG - Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 44 Absatz 2 Buchstabe g EG) - Gesellschaft mit der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft, bei der alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter die Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung haben - GmbH & Co. KG - Offenlegung der Jahresabschlüsse - Möglichkeit für Dritte, diese Unterlagen einzusehen - Begriff des Dritten - Einbeziehung u. a. der Konkurrenten - Gültigkeit - Rechtsgrundlage - Grundsätze der freien Berufsausübung, der Pressefreiheit und der Gleichbehandlung“
In den verbundenen Rechtssachen C-435/02 und C-103/03
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG
eingereicht vom Landgericht Essen (Deutschland) und vom Landgericht Hagen (Deutschland) mit Beschlüssen vom 25. November 2002 und 11. Februar 2003, eingegangen am 2. Dezember 2002 und 5. März 2003, in den Verfahren
Axel Springer AG
gegen
Zeitungsverlag Niederrhein GmbH & Co. Essen KG (C-435/02),
und
Axel Springer AG
gegen
Hans-Jürgen Weske (C-103/03),
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans (Berichterstatter), der Richter J.-P. Puissochet und R. Schintgen sowie der Richterinnen F. Macken und N. Colneric,
Generalanwalt: F. G. Jacobs,
Kanzler: R. Grass,
nach Mitteilung an die vorlegenden Gerichte, dass der Gerichtshof gemäß Artikel 104 § 3 seiner Verfahrensordnung durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden beabsichtigt,
nach Aufforderung der Beteiligten im Sinne von Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes zur Einreichung etwaiger Stellungnahmen,
nach Anhörung des Generalanwalts
folgenden
Beschluss
1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Gültigkeit der Richtlinie 90/605/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG über den Jahresabschluss bzw. den konsolidierten Abschluss hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs (ABl. L 317, S. 60).
2
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten der Axel Springer AG (im Folgenden: Springer) gegen die Zeitungsverlag Niederrhein GmbH & Co. Essen KG (im Folgenden: Zeitungsverlag Niederrhein) (C-435/02) und gegen Herrn Weske, den Geschäftsführer der Radio Ennepe-Ruhr-Kreis mbH & Co. KG (im Folgenden: Radio Ennepe) (C-103/03), wegen Anträgen von Springer auf Einsicht in die Jahresabschlüsse des Zeitungsverlags Niederrhein und von Radio Ennepe.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsregelung
3
Nach Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 44 Absatz 2 Buchstabe g EG) wirken der Rat der Europäischen Union und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften auf die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit hin, indem sie, soweit erforderlich, die Schutzbestimmungen koordinieren, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 EG-Vertrag (jetzt Artikel 48 Absatz 2 EG) im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten.
4
Die Richtlinie 90/605 erging zur Änderung des Anwendungsbereichs u. a. der Vierten Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (ABl. L 222, S. 11, im Folgenden: Vierte Gesellschaftsrichtlinie).
5
Die Vierte Gesellschaftsrichtlinie schreibt Maßnahmen zur Koordinierung der nationalen Vorschriften über den Jahresabschluss von Kapitalgesellschaften vor. Sie gilt in Deutschland für Gesellschaften folgender Rechtsformen: Aktiengesellschaft, Kommanditgesellschaft auf Aktien und Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
6
Die Artikel 1 und 2 der Richtlinie 90/605 erstrecken die Anwendung der durch die Vierte Gesellschaftsrichtlinie vorgeschriebenen Koordinierungsmaßnahmen u. a. auf bestimmte Formen von Personengesellschaften, darunter in Deutschland die Kommanditgesellschaft, sofern alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter dieser Gesellschaften Kapitalgesellschaften sind, die eine der in der vorstehenden Randnummer dieses Urteils genannten Rechtsformen haben.
7
Die Richtlinie 90/605 erstreckt somit in Deutschland die Anwendung der durch die Vierte Gesellschaftsrichtlinie vorgeschriebenen Koordinierungsmaßnahmen u. a. auf Gesellschaften mit der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft, bei denen alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter die Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung haben (im Folgenden: GmbH & Co. KG).
8
Diese Gesellschaftsform unterliegt daher u. a. Artikel 47 Absatz 1 der Vierten Gesellschaftsrichtlinie in der Fassung des Artikels 38 Absatz 3 der Siebenten Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages über den konsolidierten Abschluss (ABl. L 193, S. 1), der bestimmt:
„Der ordnungsgemäß gebilligte Jahresabschluss und der Lagebericht sowie der Bericht der mit der Abschlussprüfung beauftragten Person sind nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG vorgesehenen Verfahren offen zu legen.
Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates können jedoch den Lagebericht von der genannten Offenlegung freistellen. In diesem Fall ist der Lagebericht am Sitz der Gesellschaft in dem betreffenden Mitgliedstaat zur Einsichtnahme für jedermann bereitzuhalten. Eine vollständige oder teilweise Ausfertigung dieses Berichts muss auf bloßen Antrag erhältlich sein. Das dafür berechnete Entgelt darf die Verwaltungskosten nicht übersteigen.“
9
Artikel 3 Absätze 1 bis 3 der Ersten Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. L 65, S. 8, im Folgenden: Erste Gesellschaftsrichtlinie), lautet:
„(1) In jedem Mitgliedstaat wird entweder bei einem zentralen Register oder bei einem Handels- oder Gesellschaftsregister für jede der dort eingetragenen Gesellschaften eine Akte angelegt.
(2) Alle Urkunden und Angaben, die nach Artikel 2 der Offenlegung unterliegen, sind in dieser Akte zu hinterlegen oder in das Register einzutragen; der Gegenstand der Eintragungen in das Register muss in jedem Fall aus der Akte ersichtlich sein.
(3) Vollständige oder auszugsweise Abschriften der in Artikel 2 bezeichneten Urkunden oder Angaben sind auf schriftliches Verlangen zuzusenden. Die Gebühren für die Erteilung dieser Abschriften dürfen die Verwaltungskosten nicht übersteigen.
…“
10
Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f der Ersten Gesellschaftsrichtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit sich die Pflicht zur Offenlegung hinsichtlich der Gesellschaften mindestens auf folgende Urkunden und Angaben erstreckt:
...
f) die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung für jedes Geschäftsjahr …“
Nationale Regelung
11
Der Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 22. April 1999 in der Rechtssache C-272/97 (Kommission/Deutschland, Slg. 1999, I-2175) festgestellt, dass die Richtlinie 90/605 nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist in deutsches Recht umgesetzt worden war.
12
Das deutsche Recht, insbesondere das Handelsgesetzbuch (HGB), wurde seitdem geändert, damit sich die durch die Vierte Gesellschaftsrichtlinie vorgeschriebenen Koordinierungsmaßnahmen nun u. a. auf die GmbH & Co. KG erstrecken (§ 264a HGB).
13
Die neue Regelung sieht außerdem vor, dass Verletzungen der vorgeschriebenen Verpflichtungen zu Ordnungsgeldern von mindestens 2 500 Euro und höchstens 25 000 Euro führen, die vom Amtsgericht, dem in Deutschland für die Führung des Handelsregisters zuständigen Gericht, festgesetzt werden.
14
Diese Ordnungsgelder können jedoch nur auf einen beim Amtsgericht gestellten Antrag hin festgesetzt werden. Der Kreis der Personen, die einen solchen Antrag stellen können, ist hingegen nicht beschränkt, so dass jeder dazu berechtigt ist (§§ 335a und 335b HGB).
Ausgangsverfahren und Vorabentscheidungsfragen
15
Springer beantragte bei den örtlich zuständigen Amtsgerichten, den Zeitungsverlag Niederrhein, ein im Presse- und Verlagswesen tätiges Unternehmen, und Radio Ennepe, ein im Rundfunkbereich tätiges Unternehmen, mittels Festsetzung von Zwangsgeldern zur Vorlage ihrer Jahresabschlüsse anzuhalten, damit Springer sie einsehen konnte.
16
Die angerufenen Gerichte gaben diesen Anträgen mit Verfügungen statt, mit denen die beantragten Anordnungen getroffen und den Geschäftsführern der Gesellschaften, Herrn Glandt und Herrn Weske, Ordnungsgelder in Höhe von 5 000 Euro für den Fall angedroht wurden, dass die Unterlagen nicht innerhalb der gesetzten Frist eingereicht würden.
17
Da die Jahresabschlüsse nicht fristgemäß eingereicht wurden, wurden durch Beschlüsse die Ordnungsgelder festgesetzt.
18
Der Zeitungsverlag Niederrhein und Herr Glandt sowie Herr Weske legten daraufhin Beschwerden gegen diese Beschlüsse bei den vorlegenden Gerichten ein.
19
Diese sind der Auffassung, dass die bei ihnen anhängigen Rechtssachen Zweifel an der Gültigkeit der Richtlinie 90/605 aufwerfen.
20
In der Rechtssache C-435/02 hat das Landgericht Essen das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1.
Ist die Richtlinie 90/605/EWG in Verbindung mit Artikel 47 der Richtlinie 78/660/EWG insoweit mit dem Gemeinschaftsgrundrecht der Berufsfreiheit vereinbar, als dadurch die Kommanditgesellschaften, deren persönlich haftender Gesellschafter eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist, verpflichtet werden, den Jahresabschluss und den Lagebericht insbesondere ohne Beschränkung des Kreises der zur Einsichtnahme berechtigten Personen offen zu legen?
2.
Ist die Richtlinie 90/605/EWG in Verbindung mit Artikel 47 der Richtlinie 78/660/EWG insoweit mit den Gemeinschaftsgrundrechten der Presse- und Rundfunkfreiheit vereinbar, als dadurch die Kommanditgesellschaften, deren persönlich haftender Gesellschafter eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist und die im Bereich des Presse- und Verlagswesens bzw. im Rundfunkbereich tätig sind, verpflichtet werden, den Jahresabschluss und den Lagebericht insbesondere ohne Beschränkung des Kreises der zur Einsichtnahme berechtigten Personen offen zu legen?
3.
Ist die Richtlinie 90/605/EWG insoweit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar, als sie zu einer Benachteiligung der Kommanditgesellschaften, deren Komplementär eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist, gegenüber Kommanditgesellschaften, deren Komplementär eine natürliche Person ist, führt, obwohl die Gläubiger der GmbH & Co. KG durch die Offenlegungspflicht der GmbH besser geschützt werden als Gläubiger einer Kommanditgesellschaft, deren Komplementär als natürliche Person keinen Offenlegungspflichten unterliegt?
21
In der Rechtssache C-103/03 hat das Landgericht Hagen ebenfalls das Verfahren ausgesetzt und dieselben drei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, denen es folgende erste Frage vorangestellt hat:
Konnte sich die Europäische Gemeinschaft zum Erlass der KapCoRiLi (Richtlinie 90/605/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG über den Jahresabschluss bzw. den konsolidierten Abschluss hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs) auf Artikel 54 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 3 Buchstabe g EG-Vertrag stützen, obwohl diese Richtlinie Einsichtsrechte auch für nicht schutzbedürftige Dritte gewährt?
22
Wegen ihres Zusammenhangs werden die Rechtssachen C-435/02 und C-103/03 zu gemeinsamer Entscheidung durch Beschluss verbunden.
Zu den Vorabentscheidungsfragen
23
Da die Antwort auf die erste in der Rechtssache C-103/03 vorgelegte Frage klar aus dem Urteil vom 4. Dezember 1997 in der Rechtssache C-97/96 (Daihatsu Deutschland, Slg. 1997, I-6843) abgeleitet werden kann und die Beantwortung der übrigen in der Rechtssache C-103/03 sowie der in der Rechtssache C-435/02 vorgelegten Fragen keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, hat der Gerichtshof die vorlegenden Gerichte gemäß Artikel 104 § 3 seiner Verfahrensordnung darüber unterrichtet, dass er beabsichtigt, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden, und den in Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes bezeichneten Beteiligten Gelegenheit gegeben, sich hierzu zu äußern.
24
In der Rechtssache C-435/02 hat der Rat daraufhin erklärt, dass er keine Einwände dagegen habe, dass der Gerichtshof durch mit Gründen versehenen Beschluss entscheide. Dagegen haben in den Rechtssachen C-435/02 und C-103/03 der Zeitungsverlag Niederrhein und Herr Weske Einwände erhoben und sich dabei auf das Vorbringen in ihren schriftlichen Erklärungen bezogen. Dies hat den Gerichtshof jedoch nicht veranlasst, von dem beabsichtigten Verfahrensweg abzuweichen.
Zur ersten Frage in der Rechtssache C-103/03
25
Mit seiner ersten Frage in der Rechtssache C-103/03 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 90/605, soweit sich daraus ergibt, dass jeder die Möglichkeit hat, den Jahresabschluss und den Lagebericht der von ihr erfassten Gesellschaftsformen einzusehen, ohne ein schutzbedürftiges Recht oder Interesse belegen zu müssen, wirksam auf der Grundlage des Artikels 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages erlassen werden konnte.
26
Herr Weske macht geltend, dass der Kreis der nach Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages zu schützenden Dritten sowohl die Personen einschließe, die eine Rechtsbeziehung zu der Gesellschaft hätten, als auch diejenigen, die eine solche Beziehung erst begründen wollten, und damit auch potenzielle Gesellschafter, Beschäftigte oder Gläubiger.
27
Diese Vorschrift erlaube jedoch nicht, dass der Kreis der Dritten so definiert werde, dass er jedermann unabhängig von seiner Stellung einschließe. Die im Urteil Daihatsu Deutschland vertretene weite Auslegung dieses Begriffes des Dritten sei daher nicht frei von Bedenken.
28
Hierzu ist festzustellen, dass, wie der Rat und die Kommission vortragen, die Antwort auf diese Frage klar aus dem Urteil Daihatsu Deutschland abgeleitet werden kann.
29
Nach den Randnummern 19 und 20 des genannten Urteils ist nämlich in Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages selbst vom Ziel des Schutzes der Interessen Dritter ganz allgemein die Rede, ohne dass insoweit einzelne Gruppen unterschieden oder ausgeschlossen würden, so dass der Begriff der Dritten im Sinne dieses Artikels nicht auf die Gläubiger der Gesellschaft beschränkt werden kann.
30
In Randnummer 21 des Urteils Daihatsu Deutschland hat der Gerichtshof ferner festgestellt, dass das Ziel, die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit aufzuheben, das dem Rat und der Kommission durch Artikel 54 Absätze 1 und 2 des Vertrages in sehr weit gefassten Wendungen aufgegeben ist, nicht durch Artikel 54 Absatz 3 des Vertrages eingeschränkt wird, da dieser, wie die Verwendung des Wortes „insbesondere“ in Artikel 54 Absatz 3 belegt, lediglich eine nicht abschließende Liste von Maßnahmen enthält, die zur Verwirklichung dieses Zieles zu ergreifen sind.
31
Weiter hat der Gerichtshof in Randnummer 22 des genannten Urteils erklärt, dass die Bestimmungen des Artikels 3 der Ersten Gesellschaftsrichtlinie, die die Führung eines öffentlichen Registers, in das alle offen zu legenden Urkunden und Angaben einzutragen sind, sowie für jedermann die Möglichkeit vorsehen, Abschriften der Jahresabschlüsse zugesandt zu bekommen, das in der vierten Begründungserwägung dieser Richtlinie zum Ausdruck gebrachte Bestreben bestätigen, diese Informationen jedem Dritten zugänglich zu machen, der die buchhalterische und finanzielle Situation der Gesellschaft nicht hinreichend kennt oder kennen kann.
32
In derselben Randnummer hat der Gerichtshof hinzugefügt, dass dieses Bestreben auch in den Begründungserwägungen der Vierten Gesellschaftsrichtlinie Ausdruck findet, in denen auf das Erfordernis hingewiesen wird, hinsichtlich des Umfangs der zu veröffentlichenden finanziellen Angaben in der Gemeinschaft gleichwertige rechtliche Mindestbedingungen für miteinander im Wettbewerb stehende Gesellschaften herzustellen (siehe insbesondere die dritte Begründungserwägung).
33
Aus dem Urteil Daihatsu Deutschland ergibt sich somit klar, dass die durch Artikel 3 der Ersten Gesellschaftsrichtlinie vorgeschriebenen Offenlegungspflichten, auf die sich Artikel 47 Absatz 1 der Vierten Gesellschaftsrichtlinie bezieht und die durch die Richtlinie 90/605 auf bestimmte Formen von Personengesellschaften wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende erstreckt werden, bedeuten, dass jeder die Möglichkeit hat, den Jahresabschluss und den Lagebericht der von der Richtlinie erfassten Gesellschaftsformen einzusehen, ohne ein schutzbedürftiges Recht oder Interesse belegen zu müssen.
34
Aus den Randnummern 21 und 22 des genannten Urteils geht ferner klar hervor, dass ein Gemeinschaftsrechtsakt, der derartige Offenlegungspflichten vorsieht, auf der Grundlage des Artikels 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages erlassen werden konnte, da in dieser Vorschrift, die dem Gemeinschaftsgesetzgeber weitreichende Befugnisse verleiht, vom Ziel des Schutzes der Interessen Dritter ganz allgemein die Rede ist, ohne dass insoweit einzelne Gruppen unterschieden oder ausgeschlossen würden, so dass sich der Begriff des Dritten im Sinne dieses Artikels auf alle Dritten bezieht. Folglich ist dieser Begriff weit auszulegen und erfasst u. a. die Konkurrenten der betreffenden Gesellschaften.
35
Somit ist auf die erste Frage in der Rechtssache C-103/03 zu antworten, dass die Richtlinie 90/605, soweit sich daraus ergibt, dass jeder die Möglichkeit hat, den Jahresabschluss und den Lagebericht der von ihr erfassten Gesellschaftsformen einzusehen, ohne ein schutzbedürftiges Recht oder Interesse belegen zu müssen, wirksam auf der Grundlage des Artikels 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages erlassen werden konnte.
Zu den ersten beiden Fragen in der Rechtssache C-435/02 sowie der zweiten und der dritten Frage in der Rechtssache C-103/03
36
Mit den ersten beiden Fragen in der Rechtssache C-435/02 sowie der zweiten und der dritten Frage in der Rechtssache C-103/03, die zusammen zu prüfen sind, möchten die vorlegenden Gerichte im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 90/605, soweit sich daraus ergibt, dass jeder die Möglichkeit hat, den Jahresabschluss und den Lagebericht von Unternehmen, die eine der von ihr erfassten Gesellschaftsformen haben und ihre Tätigkeit wie im vorliegenden Fall im Presse- oder Verlagswesen oder im Rundfunkbereich ausüben, einzusehen, ohne ein schutzbedürftiges Recht oder Interesse belegen zu müssen, mit den allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen der Berufs- und der Pressefreiheit vereinbar ist.
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
37
Der Zeitungsverlag Niederrhein und Herr Weske machen geltend, dass die Richtlinie 90/605 in Verbindung mit Artikel 47 der Vierten Gesellschaftsrichtlinie ein legitimes Gemeinwohlziel verfolge, da die durch sie vorgeschriebenen Offenlegungspflichten dem Schutz der Gesellschafter, der Beschäftigten und der Gläubiger der Gesellschaft dienten.
38
Die Einbeziehung aller interessierten Personen einschließlich der Konkurrenten in den Kreis der zur Einsicht in die betreffenden Unterlagen Berechtigten sei jedoch insbesondere im Hinblick auf das berechtigte Interesse der Gesellschaft an der Geheimhaltung bestimmter Daten eine unangemessene Belastung. Die Richtlinie 90/605 sei daher mit dem Gemeinschaftsgrundrecht der Berufsfreiheit unvereinbar und folglich ungültig.
39
Der Zeitungsverlag Niederrhein und Herr Weske tragen ferner vor, dass die Freiheit der Meinungsäußerung als durch das Gemeinschaftsrecht garantiertes Grundrecht die gesamte Betätigung der Presse- und der Rundfunkunternehmen schütze.
40
Da die Richtlinie 90/605 und die Vierte Gesellschaftsrichtlinie keinen besonderen Schutz für Presse- und Rundfunkunternehmen enthielten, indem sie Ausnahmen von den in ihnen vorgesehenen Offenlegungspflichten bestimmten, seien sie unvereinbar mit der Meinungsfreiheit.
41
Die belgische Regierung macht geltend, dass die durch die Richtlinie 90/506 vorgeschriebene Verpflichtung zur Offenlegung des Jahresabschlusses dadurch gerechtfertigt sei, dass Dritte im Fall der von der Richtlinie erfassten Gesellschaften nur begrenzt auf den Gesellschafter Rückgriff nehmen könnten, da dieser eine juristische Person mit beschränkter Haftung sei.
42
Die Kommission bezieht sich auf die ersten drei Begründungserwägungen der Vierten Gesellschaftsrichtlinie, aus denen insbesondere hervorgehe, dass die Vorschriften über die Offenlegung des Jahresabschlusses und des Lageberichts notwendig seien, weil die Gesellschaftsformen, für die diese Vorschriften gälten, Dritten eine Sicherheit nur durch ihr Gesellschaftsvermögen böten, und dass es erforderlich sei, hinsichtlich des Umfangs der zu veröffentlichenden finanziellen Angaben in der Gemeinschaft gleichwertige rechtliche Mindestbedingungen für miteinander im Wettbewerb stehende Unternehmen herzustellen.
43
Die Einbeziehung u. a. der Konkurrenten in den Kreis der zur Einsichtnahme in die fraglichen Dokumente berechtigten Personen sei ein erforderliches und angemessenes Mittel zur Erreichung des sowohl in diesen Begründungserwägungen als auch in Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages in seiner Auslegung durch den Gerichtshof im Urteil Daihatsu Deutschland genannten Zieles, nämlich des Schutzes nicht nur der Gesellschafter, sondern auch Dritter.
44
Die Kommission trägt ferner vor, dass die Frage bezüglich des allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Berufsfreiheit im vorliegenden Fall die Frage bezüglich des allgemeinen Grundsatzes der Pressefreiheit umfasse.
45
Der Rat macht geltend, dass die Richtlinie 90/605 keinen unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstelle, der das Recht auf freie Berufsausübung in seinem Wesensgehalt antaste.
46
Außerdem verstoße die durch die Richtlinie 90/605 vorgeschriebene Offenlegungspflicht in keiner Weise gegen die Pressefreiheit, wie sie insbesondere in Artikel 10 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankert sei, da sie in keiner Weise den Inhalt der Informationen oder Ideen berühre, die von einer unter die Richtlinie fallenden Gesellschaft mitgeteilt würden.
Antwort des Gerichtshofes
47
Zunächst ist festzustellen, dass die Frage, ob die Offenlegungspflichten, die den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Personengesellschaften auferlegt sind, mit der Freiheit der Meinungsäußerung vereinbar sind, in der Frage nach der Vereinbarkeit dieser Verpflichtungen mit der freien Berufsausübung aufgeht. Die betreffenden Verpflichtungen gelten nämlich für alle Unternehmen mit einer bestimmten Gesellschaftsform unabhängig von der Art ihrer Tätigkeiten. Sie weisen zudem keinen hinreichend direkten und speziellen Zusammenhang mit einer Tätigkeit auf, die unter die Freiheit der Meinungsäußerung fällt. Es handelt sich im Wesentlichen um eine Regelung, die die betreffenden Gesellschaften unabhängig von der ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit berührt.
48
Der Gerichtshof hat entschieden, dass sowohl das Eigentumsrecht als auch die freie Berufsausübung zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehören. Nach dieser Rechtsprechung kann aber die Ausübung dieser Rechte Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der diese Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet (vgl. Urteile vom 5. Oktober 1994 in der Rechtssache C-280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-4973, Randnr. 78, und vom 10. Juli 2003 in den Rechtssachen C-20/00 und C-64/00, Booker Aquaculture und Hydro Seafood, Slg. 2003, I-7411, Randnr. 68, und die dort zitierte Rechtsprechung).
49
Unter diesen Voraussetzungen erscheint selbst dann, wenn die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Offenlegungspflichten eine hinreichend direkte und bedeutsame Auswirkung auf die freie Berufsausübung haben sollten, die Beschränkung, zu der sie führen, insbesondere die Beschränkung des Rechts eines Unternehmens, bestimmte potenziell sensible Daten geheim zu halten, auf jeden Fall eindeutig gerechtfertigt.
50
Nach den ersten drei Begründungserwägungen der Vierten Gesellschaftsrichtlinie verfolgen nämlich die Offenlegungsvorschriften, die die Richtlinie für bestimmte Formen von Kapitalgesellschaften vorsieht, das zweifache, dem Gemeinwohl dienende Ziel des Artikels 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages, Dritte vor den finanziellen Risiken zu schützen, die mit Gesellschaftsformen verbunden sind, die ihnen eine Sicherheit nur durch ein Gesellschaftsvermögen bieten, und hinsichtlich des Umfangs der zu veröffentlichenden finanziellen Angaben in der Gemeinschaft gleichwertige rechtliche Mindestbedingungen für miteinander im Wettbewerb stehende Gesellschaften herzustellen.
51
Die Richtlinie 90/605 soll nach ihren ersten fünf Begründungserwägungen speziell einer Praxis begegnen, die darin besteht, dass die rechtliche Regelung dadurch umgangen wird, dass eine beträchtliche und weiter steigende Zahl von Gesellschaften in Form von Personengesellschaften errichtet wird, bei denen alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter die Rechtsform von Kapitalgesellschaften haben, um sich der Wirkung der für diese Gesellschaften geltenden Offenlegungsvorschriften zu entziehen, d. h. einer Praxis, die somit dem oben genannten Ziel der Vierten Gesellschaftsrichtlinie zuwiderläuft, Dritte vor den finanziellen Risiken der Gesellschaftsformen zu schützen, die ihnen eine Sicherheit nur durch ein Gesellschaftsvermögen bieten.
52
Folglich entsprechen die durch die Richtlinie 90/605 vorgeschriebenen Maßnahmen tatsächlich den Zielen des Artikels 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages und damit im Sinne der in Randnummer 48 dieses Beschlusses zitierten Rechtsprechung dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft.
53
Der Nachteil, zu dem die durch diese Offenlegungsvorschriften auferlegten Verpflichtungen führen könnten, erscheint im Übrigen begrenzt. Es erscheint nämlich zweifelhaft, ob diese Vorschriften geeignet sind, die Wettbewerbsstellung der betreffenden Gesellschaften zu ändern, anders als dies in der dem Urteil Deutschland/Rat vom 5. Oktober 1994 (Randnr. 81) zugrunde liegenden Rechtssache der Fall war.
54
Diese Beurteilung wird durch die Vorschriften der Vierten Gesellschaftsrichtlinie, insbesondere die Artikel 11, 27 und 44 bis 47, bestätigt, die die Möglichkeit vorsehen, die Informationen, die im Jahresabschluss und im Jahresbericht von Gesellschaften, die die Grenzen bestimmter Größenmerkmale nicht überschreiten, enthalten sein müssen, und die Offenlegung der Abschlüsse dieser Gesellschaften zu beschränken. Darüber hinaus soll Artikel 45 dieser Richtlinie insbesondere verhindern, dass den betreffenden Unternehmen durch die Offenlegung bestimmter Daten ein erheblicher Nachteil zugefügt wird.
55
Ferner können nach Artikel 46 der Richtlinie die Angaben, die im Lagebericht enthalten sein müssen, allgemein gehalten sein, so dass es entgegen dem Vorbringen des Zeitungsverlags Niederrhein und von Herrn Weske nicht erforderlich ist, bestimmte sensible Daten, aus denen z. B. die Berechnungsgrundlage der Preise hervorgehen kann, detailliert mitzuteilen.
56
Im Übrigen werden durch die Offenlegung des Jahresabschlusses von Kapitalgesellschaften, die die einzigen unbeschränkt haftenden Gesellschafter einer von der Richtlinie 90/605 erfassten Personengesellschaft wie derjenigen sind, die wie in den Ausgangsverfahren die Form einer GmbH & Co. KG hat, im vorliegenden Fall also des Jahresabschlusses von Gesellschaften mit beschränkter Haftung, nur Angaben über die Lage der betreffenden Gesellschafter und keine Angaben über die Lage der Personengesellschaft mitgeteilt. Sie macht daher die Veröffentlichung des Jahresabschlusses der letztgenannten Gesellschaft nicht überflüssig.
57
Zudem können nach dem durch Artikel 1 Nummer 4 der Richtlinie 90/605 in die Vierte Gesellschaftsrichtlinie eingefügten Artikel 57a Personengesellschaften wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden GmbH & Co. KGs von den Offenlegungspflichten befreit werden, wenn ihre Abschlüsse zusammen mit denen eines ihrer unbeschränkt haftenden Gesellschafter offen gelegt werden müssen oder in die konsolidierten Abschlüsse einer Gruppe von Gesellschaften einbezogen sind.
58
Unter diesen Voraussetzungen stellt die Verpflichtung im Bereich der Offenlegung des Jahresabschlusses und des Lageberichts, die Personengesellschaften wie denjenigen auferlegt ist, die die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Rechtsform einer GmbH & Co. KG haben, keinen unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff dar, der die freie Berufsausübung in ihrem Wesensgehalt antastet.
59
Nach alledem ist auf die ersten beiden Fragen in der Rechtssache C-435/02 sowie die zweite und die dritte Frage in der Rechtssache C-103/03 zu antworten, dass die Prüfung dieser Fragen am Maßstab der allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze der freien Berufsausübung und der Freiheit der Meinungsäußerung nichts ergeben hat, was die Gültigkeit der Richtlinie 90/605 beeinträchtigen könnte.
Zur dritten Frage in der Rechtssache C-435/02 und zur vierten Frage in der Rechtssache C-103/03
60
Mit der dritten Frage in der Rechtssache C-435/02 und der vierten Frage in der Rechtssache C-103/03 möchten die vorlegenden Gerichte im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 90/605 mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar ist, soweit sie Kommanditgesellschaften, bei denen alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter die Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung haben, Verpflichtungen zur Offenlegung des Jahresabschlusses auferlegt. Diese Gesellschaften seien gegenüber Kommanditgesellschaften benachteiligt, bei denen mindestens ein unbeschränkt haftender Gesellschafter eine natürliche Person sei und die diesen Verpflichtungen nicht unterlägen, obwohl die Gläubiger von Gesellschaften mit der erstgenannten Gesellschaftsform besser geschützt seien als die Gläubiger von Gesellschaften mit der letztgenannten Form, da die Gesellschafter bei der erstgenannten Form als Gesellschaften mit beschränkter Haftung derartigen Offenlegungspflichten unterlägen, natürliche Personen jedoch nicht.
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
61
Der Zeitungsverlag Niederrhein und Herr Weske machen geltend, dass die Offenlegungsvorschriften eine gravierende Ungleichbehandlung der Kommanditgesellschaften, bei denen mindestens ein unbeschränkt haftender Gesellschafter eine natürliche Person sei, und der Kommanditgesellschaften darstellten, bei denen alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter Gesellschaften mit beschränkter Haftung seien, wie die GmbH & Co. KG, und dass den letztgenannten Kommanditgesellschaften durch diese Situation erhebliche Nachteile entstünden.
62
Der Rat trägt vor, dass aus den ersten drei Begründungserwägungen der Richtlinie 90/605 hervorgehe, dass diese eine Lücke schließen solle, die sich aus den Vorschriften der Vierten Gesellschaftsrichtlinie ergebe und die nach Ansicht des Gesetzgebers im Widerspruch zu Sinn und Zweck Letzterer stehe, da eine ständig steigende Zahl von Gesellschaften wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kommanditgesellschaften nicht den Offenlegungspflichten unterliege, obwohl ihre Gläubiger nur gegen unbeschränkt haftende Gesellschafter mit der Rechtsform von Gesellschaften mit beschränkter Haftung vorgehen könnten, die Dritten eine Sicherheit nur durch ihr Gesellschaftsvermögen böten.
63
Im Hinblick auf Dritte bestehe ein grundlegender Unterschied zwischen solchen Kommanditgesellschaften und Kommanditgesellschaften, bei denen mindestens ein unbeschränkt haftender Gesellschafter eine natürliche Person sei, die für die Schulden der Gesellschaft mit ihrem gesamten Vermögen hafte.
64
Dass Kommanditgesellschaften wie der GmbH & Co. KG, bei denen alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter die Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung hätten, Offenlegungspflichten auferlegt würden, anderen Kommanditgesellschaften aber nicht, sei daher objektiv gerechtfertigt.
65
Die Kommission verweist auf denselben objektiven Unterschied zwischen den verschiedenen Kommanditgesellschaften und schließt daraus, dass die Richtlinie 90/605 keine Diskriminierung darstelle.
Antwort des Gerichtshofes
66
Zunächst ist daran zu erinnern, dass der allgemeine Grundsatz der Gleichbehandlung, der zu den wesentlichen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehört, verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden dürfen, sofern eine solche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt ist. (vgl. u. a. Urteil vom 9. September 2004 in der Rechtssache C-304/01, Spanien/Kommission, Slg. 2004, I-0000, Randnr. 31).
67
Wie aus Randnummer 51 dieses Beschlusses hervorgeht, beruht der Unterschied, den die Richtlinie 90/605 zwischen den von ihr erfassten Kommanditgesellschaften wie der GmbH & Co. KG und den Kommanditgesellschaften macht, zu deren unbeschränkt haftenden Gesellschaftern mindestens eine natürliche Person außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie gehört, auf der Erwägung, dass die erste Gruppe dieser Gesellschaften mittelbar dieselben Risiken für Dritte birgt wie die von der Vierten Gesellschaftsrichtlinie erfassten Kapitalgesellschaften, indem diese Gesellschaften Dritten eine Sicherheit nur durch ein Gesellschaftsvermögen bieten, was bei der zweiten Gruppe von Kommanditgesellschaften nicht der Fall ist.
68
Die Richtlinie 90/605 folgt derselben Logik wie die Vierte Gesellschaftsrichtlinie, deren Umgehung sie verhindern soll und zu der sie insoweit rein akzessorisch ist. In diesem Sinne ergänzt die Richtlinie 90/605 die Vierte Gesellschaftsrichtlinie, damit der Vorteil der Beschränkung der Haftung, den einige Gesellschaftsformen genießen, mit einer angemessenen Offenlegung zum Schutz der Interessen Dritter einhergeht.
69
Der Unterschied, den die Richtlinie 90/605 zwischen den beiden in Randnummer 67 dieses Beschlusses genannten Gruppen von Kommanditgesellschaften zur Festlegung des Anwendungsbereichs der Vierten Gesellschaftsrichtlinie und der durch diese Richtlinie auferlegten Offenlegungspflichten macht, ist daher aus Gründen des Schutzes der Interessen Dritter, eines wesentlichen Zieles der Richtlinie 90/605 und der Vierten Gesellschaftsrichtlinie, objektiv gerechtfertigt.
70
Diese Beurteilung wird nicht durch den von den vorlegenden Gerichten angeführten Umstand in Frage gestellt, dass die Gläubiger der von der Richtlinie 90/605 erfassten Kommanditgesellschaften bereits dadurch geschützt seien, dass die Gesellschafter als Gesellschaften mit beschränkter Haftung den in der Vierten Gesellschaftsrichtlinie vorgesehenen Offenlegungspflichten unterlägen, während diese Verpflichtungen nicht für natürliche Personen gälten.
71
Wie bereits in Randnummer 56 dieses Beschlusses festgestellt worden ist, liefert die Offenlegung des Jahresabschlusses von Kapitalgesellschaften, die die einzigen unbeschränkt haftenden Gesellschafter einer von der Richtlinie 90/605 erfassten Personengesellschaft wie derjenigen sind, die wie in den Ausgangsverfahren die Form einer GmbH & Co. KG hat, im vorliegenden Fall also des Jahresabschlusses von Gesellschaften mit beschränkter Haftung, nur Angaben über die Lage der betreffenden Gesellschafter und keine Angaben über die Lage der Personengesellschaft.
72
Nach alledem ist nicht ersichtlich, dass die Richtlinie 90/605 gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstößt.
73
Unter diesen Voraussetzungen ist auf die dritte Frage in der Rechtssache C-435/02 und die vierte Frage in der Rechtssache C-103/03 zu antworten, dass ihre Prüfung am Maßstab des Grundsatzes der Gleichbehandlung nichts ergeben hat, was die Gültigkeit der Richtlinie 90/605 beeinträchtigen könnte.
Kosten
74
Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Gerichte. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
1.
Die Richtlinie 90/605/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG über den Jahresabschluss bzw. den konsolidierten Abschluss hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs konnte, soweit sich daraus ergibt, dass jeder die Möglichkeit hat, den Jahresabschluss und den Lagebericht der von ihr erfassten Gesellschaftsformen einzusehen, ohne ein schutzbedürftiges Recht oder Interesse belegen zu müssen, wirksam auf der Grundlage des Artikels 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages (nach Änderung jetzt Artikel 44 Absatz 2 Buchstabe g EG) erlassen werden.
2.
Die Prüfung der ersten beiden Fragen in der Rechtssache C-435/02 sowie der zweiten und der dritten Frage in der Rechtssache C-103/03 am Maßstab der allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze der freien Berufsausübung und der Freiheit der Meinungsäußerung hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Richtlinie 90/605 beeinträchtigen könnte.
3.
Die Prüfung der dritten Frage in der Rechtssache C-435/02 und der vierten Frage in der Rechtssache C-103/03 am Maßstab des Grundsatzes der Gleichbehandlung hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Richtlinie 90/605 beeinträchtigen könnte.
Unterschriften.
(vom 10.11.2004)