Neues Französisches Prozessrecht 2017
Das neue französische Berufungsrecht (französisches Prozessrecht 2017)
Das neue französische Berufungsrecht (französisches Prozessrecht 2017)
Per Dekret (Rechtsverordnung)Nr. 20017-891 von 6. Mai 2017 hat der französische Gesetzgeber neue Regeln für die Berufungsverfahren eingeführt. Ziel der Reform ist die weitere Verfahrenskonzentration und -beschleunigung.
Es ist nur wenige Jahre her, dass der Beruf der französischen Berufungsanwälte (avoués) mit jenem des französischen Rechtsanwalts fusioniert worden ist. Seitdem dürfen Rechtsanwälte auch in Berufungssachen vor den französischen Berufungsgerichtshöfen Schriftsätze einreichen. Eine Neuheit, die deutsche Kollegen überrascht. Die hatten schon seit Jahrzehnten Zugang zu den Oberlandesgerichten und seit Anschaffung der territorialen Postulation an allen Oberlandesgerichten der Bundesrepublik Zugang. Seit einigen Jahren hat der deutsche Rechtsanwalt zudem ab dem ersten Tag seiner Zulassung Zugang. Zuvor bedurfte es eines besonderen Antrags des interessierten Rechtsanwalt, der diesen Antrag erst nach Ablauf von 5 Jahren Zulassung zur Anwaltschaft einreichen durfte. Sicherlich steckte hinter dieser Bestimmung der Wunsch, nur erfahrenen Kollegen Zugang zu verschaffen.
Der französische Rechtsanwalt kennt die Postulation hingegen weiterhin. Sie hat nur eine geringere Bedeutung als in Frankreich, da die lokale Postulation nur bei Landgerichten und Berufungsgerichten in Zivilsachen galt. Die Landgerichte sind in bedeutenden Rechtsstreitigkeiten häufig und anders als in Deutschland, gar nicht zuständig. Alle handelsrechtlichen Auseinandersetzungen werden vor den Handelsgerichten entschieden, soweit keine gesetzlichen Spezialzuständigkeiten der Zivilgerichte greifen (etwa in Urheberrechtsauseinandersetzungen). Vor den Handelsgerichten besteht kein Anwaltszwang und dasselbe galt bis zur Gesetzesreform in Berufungssachen. Auch Arbeitsrechtsstreitigkeiten bedurften in Frankreich keiner Intervention eines Rechtsanwaltes. Insoweit beinhaltet die jüngste Reform des französischen Verfahrensrechts Berufungsverfahren betreffend nunmehr Änderungen.
Rechtsverbindlich wird das neue französische Berufungsrecht gemäß Artikel des Dekrets Nr. 20012-891 vom 6. Mai 2017 für alle ab dem 1.9.2017 vor französischen Berufungsgerchten eingelegten Berufungen.
Als Neuerung des französischen Prozessrechts bestimmen Artikel 80, 85 desselben Dekrets, dass Berufungen zu begründen sind. Eine herkömmliche bloße Einlegung der Berufung recht nicht mehr und die Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung löst die Berufungsfrist aus, nicht deren Ausspruch und Ausfertigung oder Zurverfügungstellung in der Geschäftsstelle.
Zudem bedarf es des Beantragens eines Verhandlungstermins binnen 15 Tagen seit der Berufungseinlegung, andernfalls die Berufungseinlegung unheilbar unwirksam ist (siehe Artikel 542, 561, 562 des französischen Zivilprozessgesetzbuchs "Code de procédure civile" oder abgekürzt "CPC" ).
Gemäß Artikel 901 CPC muss der französische Berufungseinlegungsschriftsatz diejenigen Feststellungen bzw. sonstigen Aussprüche benennen, die mit der Berufung angefochten werden und die angefochtene Entscheidung muss der Berufungseinlegung beigefügt sein.
Anträge, mit welchen eine Partei zurückgewiesen worden ist, müssen angegeben werden (Art. 933 CPC).
Zur Nichtigkeit der Berufung:
Ein technisches Problem erwächst aus der Tatsache, dass das elektronische Berufungseinlegungsformular des RPVA (elektronisches Korrespondenzprogramm der französischen Rechtsanwälte) so programmiert ist, dass nur Platz für 50 Zeilen Text bleibt. Diese reichen in der Regel nicht aus, um eine Berufung zu begründen. Es verbleibt deshalb nur die Möglichkeit, ein Zusatzdokument anzuhängen, auf dieses zu verweisen oder dieses in Papierform zu übermitteln, worauf im elektronischen Dokument hinzuweisen ist.
Zustellungen in Verfahren, in denen zu Gunsten einer Partei ein Gewerkschaftsvertreter mit der Prozessführung beauftragt ist, müssen diesen ohnehin per Papier übermittelt werden, da sie keine Zugang zum RPVA haben. Die Zustellung erfolgt per Einschreiben mit Rückschein. /(An dieser Stelle sei erwähnt, dass der französische Richter bei der Verfahrensführung passiver ist als ein deutsches Gericht. Man möge sich da so vorstellen wie den deutschen Ausnahmefall der Zustellung von Rechtsanwalt zu Rechtsanwalt). Die Kommunikation der Parteien erfolgt folglich nicht über das Gericht, sondern untereinander direkt (zuvor zumeist über Gerichtsvollzieherzustellung) und neuerdings über RPVA und bei beteiligten Gewerkschaftsvertretern per Einschreiben mir Rückschein, um im Verfahren gewechselte Schriftsätze der Gegenpartei zur Kenntnis zu geben. Nach deutschem Prozessrecht ist es hingegen üblich, dass das der Austausch der einzelnen Schriftsätze über das Gericht erfolgt, das diese an die jeweils andere(n) Partei(en) weiter leitet und sich per Empfangsbekenntnis den Erhalt bestätigen lässt. Nur in Fällen besonderer Dringlichkeit stellen die Rechtsanwälte sich die Schriftsätze direkt "von Anwalt zu Anwalt" zu.
Ist nunmehr eine Berufung eingegangen, führt ein darin enthaltener Formfehler nicht automatisch zur Unwirksamkeit der Berufung, sondern nur, wenn das Gesetz dies ausdrücklich bestimmt. In allen anderen Fällen bedarf es für eine Nichtigkeit einer Beschwer (grief), die vor dem Richter, der für die Verfahrenskoordinierung zuständig ist ("juge de la mise en état") geltend zu machen ist Jede Geltendmachung vor dem dem Streit entscheidenden Gericht gilt als null und nichtig. Der Einwand bleibt unbeachtlich. Es handelt sich um eine sogenannte "relative Nichtigkeit" des französischen Rechts.
Im Übrigen ist festzuhalten, dass dies auch zur Folge hat, dass gerügte Mängel der Berufung in nach französischem Prozessrecht noch so lang geheilt werden können, wie die einschlägigen Fristen noch nicht abgelaufen sind. In diesem Fall kommt Artikel 115 des französischen Zivilprozessgesetzbuchs zur Anwendung. Ist die Frist abgelaufen, gilt hingegen Artikel 2241 CPC: Auch die nichtige Prozesshandlung unterbricht die Verjährung und ist eine Entscheidung ergangen, welche die Nichtigkeit feststellt, kann innerhalb der einschlägigen Fristen erneut Berufung eingelegt werden.
Auch insoweit gelten Ausnahmen, die sich aus den Artikeln 542, 561, 901, 562 CPC ergeben:
Fehlt die Angabe der belastenden Aussprüche, ist die Berufung nicht nichtig, sondern unzulässig und damit unheilbar.
Fehlt jegliche Angabe ist die Berufung unzulässig und ist eine erneute Berufung nur zulässig, falls die erste Berufung auf Antrag der anderen Partei für unzulässig erklärt worden ist.
Insoweit wirkt die neue Prozessmaxime des Verfahrenskonzentrationsprinzips, der eine Heilung gemäß neuen Artikels 911-1 CPC ausschließt.
Die Berufung ist unwirksam ("caduc"), wenn die gesetzlichen Fristen zur Einlegung und Begründung missachtet worden sind.
Die Unwirksamkeit "caducité" des französischen Prozessrechts unterscheidet sich folglich dadurch von der Nichtigkeit "nullité", dass letztere gegebenenfalls heilbar ist, aber erstere nicht.
Gefährlich wird es nach neuem Prozessrecht auch dann, wenn der Termin durch das Gericht bestimmt worden ist. Die Entscheidung über die Terminsanberaumung muss der Gegenpartei durch die den Termin beantragende Partei binnen 10 Tagen nach Erhalts der gerichtlichen Entscheidung zur Kenntnis übermittelt werden (Artikel 902;1637-1 CPC), andernfalls die Berufung unwirksam und damit auch unheilbar ist.
Im übrigen gelten nach der Reform dreimonatige Berufungsfristen (anstelle der vormaligen 2 monatigen Fristen (Artikel 908, 909, 911, 912).
Im übrigen bedarf es der Inkenntnissetzung des Berufungsbeklagten binnen maximal vier Monaten ab der Berufungseinlegung gerechnet.
Nach Artikel 905 - 2 des französischen Zivilprozessgesetzbuchs, bedarf es besonderer Wachsamkeit bei der Fristeneinhaltung.
Die Berufungsbegründung ist binnen eines Monats ab Anberaumung des Verhandlungstermins gerechnet zu übermitteln. Nach Zurückverweisung durch den französischen Kassationsgerichtshofs beträgt die Frist zwei Monate (Artikel 1034 des französischen Zivilprozessgesetzbuchs).
Werden diese Fristen nicht eingehalten, ist das nur unbeachtlich, wenn
- höhere Gewalt zu verzeichnen ist (Artikel 910-3, 905-2 und 908-911 des französischen Zivilprozessgesetzbuchs)
- Für das Déféré gilt Artikel 916 CPC. Eine Heilung ist zulässig, aber gemäß Artikel 910-4 CPC ausgeschlossen, wenn der Juge de la mise en état bereits angerufen worden ist (siehe Artikel 772-1, 753 CPC).
Weiteres in Kürze.
Nils Holger Bayer, deutsch-französischer Rechtsanwalt (Berlin-Paris)