Untersuchunshaft in Frankreich (französisches Strafrecht 2) von cand. jur. Anne Krost, Maître en Droit (französische Juristin) (Paris-Potsdam).
vom 18.10.2005
Die Untersuchunhshaft stellt in unserem Kulturkreis die einschneidenste staatliche Maßnahme gegen die Grundreiheitsrechte des Einzelnen dar, obwohl sie bereits dann zur Anwendung kommt, wenn die Unschuldsvermutung noch Wirkung entfalten muss, - das heißt, vor einer Verurteilung. Da die gesetzlichen Regelungen erheblich von der deutschen Rechtslage abweichen, sollen nachfolgend die wichtigsten Rahmenregelungen wiedergegeben werden.
Untersuchungshaft in Frankreich
Seit dem Gesetz vom 17. Juli 1970 ist die Untersuchungshaft nur noch aus ganz genau definierten Gründen erlaubt: der Untersuchungsrichter kann sie sowohl im Bereich der Vergehen als auch der Verbrechen anordnen, sofern die verwirkte Strafe zwei oder mehr Jahren Freiheitsstrafe entspricht und sie für die Ermittlung oder im Interesse der öffentlichen Ordnung erforderlich ist. Außerdem muss die richterliche Verfügung besonders begründet sein. Allerdings hat dieses Gesetz, anders als vom Gesetzgeber erhofft, nicht dazu geführt, dass sich die Anordnungen der Untersuchungshaft sich reduziert hätten
Ein neueres Gesetz vom 30. Dezember 1996 unterstreicht den Ausnahmecharakter, den die Untersuchungshaft innehabe soll (Artikel 144 des französischen Strafprozessbuchs), was bereits Artikel 137 C.P.P. festschrieb. Danach muss die Untersuchungshaft das einzige Mittel sein, um bestimmte, abschließend im Gesetz aufgezählte Ziele zu erreichen: Beweise zu erhalten, Einfluss oder Absprachen zu verhindern, die betreffende Person zu beschützen, die Verfügbarkeit der Person gegenüber der Justiz zu gewährleisten, der Straftat ein Ende zu setzen oder ihrer Wiederholung vorzubeugen oder eine außerordentliche und anhaltende Störung der öffentlichen Ordnung zu beenden.
Das Gesetz vom 15. Juni 2000, in Frankreich „Unschuldsvermutungsgesetz“ genannt, beschränkt diejemigen Fälle, in denen Untersuchungshaft angeordnet werden kann sowie ihre Dauer. So ist sie nur dann zulässig, wenn sich jemand eines Vergehens oder Verbrechens strafbar gemacht hat, das mit Freiheitsstrafe von drei oder mehr Jahren sanktioniert ist.
Bei Vermögensdelikten beträgt das erforderliche Mindestmaß grundsätzlich hingegen fünf Jahre (Artikel 143-1 C.P.P.).
Seit einem neueren Gesetz vom 4. März 2002 kann die Untersuchungshaft bei Vermögensdelikten allerdings auch dann angeordnet werden, wenn diese mit einer Freiheitsstrafe von drei oder mehr Jahren bestraft ist, nämlich dann, wenn die Person in den vergangenen sechs Monaten wegen einer Straftat verfolgt wurde, welche mit zwei oder mehr Jahren Freiheitsstrafe bestraft wird.
Ebenfalls seit dem Gesetz vom 15. Juni 2000 ist die Untersuchungshaft zeitlich auf maximal vier Monate beschränkt. Handelt es sich um ein Vergehen, kann sie bis zu einem Jahr verlängert werden, wenn der/die Betroffene eine Strafe von über fünf Jahren verwirkt und bereits zu einer Strafe für ein Verbrechen oder einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr verurteilt worden ist (Artikel 145-1 C.P.P). Bezüglich Verbrechen beschränkte das neue Gesetz die Untersuchungshaft im Prinzip auf eine maximale Dauer von zwei Jahren.
Seit einem Gesetz vom 9. September 2002 gilt als Grundsatz die Dauer von einem Jahr. Wenn die verwirkte Strafe höher bei mehr als 2 Jahren liegt, beträgt die Höchstdauer mindestens drei Jahre.
Bei bestimmten Delikten wie Drogenhandel, Terrorismus, Förderung sexueller Handlungen zwischen anderen oder der Prostitution, Erpressung und in krimineller Vereinigung begangenen Verbrechen kann die Untersuchungshaft sogar bis zu vier Jahre andauern (Artikel 145-2).
Der Gesetzentwurf vom 17. Juli 2002 sieht die Möglichkeit vor, dass die verwirkte Vergehensstrafe drei Jahre beträgt; dies sogar bei Vermögensdelikten. Die Dauer der Untersuchungshaft kann um acht zusätzliche Monate bei Vergehen und zwölf Monate bei Verbrechen verlängert werden.
Das Verfahren
Seit dem Gesetz vom 9. Juli 1984 ist vor jeder Untersuchungshaft eine kontradiktorische Verhandlung durch den Ermittlungsrichter obligatorisch.
Die Kommission für Strafgerichtsbarkeit und Menschenrechte (la commission „justice pénale et droits de l´homme“) hat Vorschläge gemacht, die Rolle des Ermittlungsrichters zu reformieren, damit nicht mehr Untersuchungs- und Beschlussbefugnis in seinen alleinigen Händen liegen.
Ein Gesetz vom 4. Januar 1993 entzog dem Ermittlungsrichter schließlich die Entscheidungsbefugnis, Untersuchungshaft anzuordnen und vertraute diese Aufgabe einer speziell hierfür eingerichtete Kammer, bestehend aus einem Richter und zwei Schöffen, an. Diese Reform trat jedoch nie in Kraft.
Per Gesetz vom 15. Juni 2000 wurde ein vom Ermittlungsrichter getrennten Richter eingestezt, der „juge des libertés et de détention“, der vom Großinstanzgericht ernannt wird und nun die über die Untersuchungshaft beschließen und diese gegebenfalls auch verlängern kann. In neun von zehn Fällen folgt der „juge des libertés et de détention“ allerdings dem Vorschlag des Staatsanwaltes.
Wenn der Ermittlungsrichter hingegen nicht dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgt und nicht den „juge des libertés et de détention“ anruft, um Untersuchungshaft zu beantragen, muss er dem Staatsanwalt unverzüglich einen motivierten Beschluss vorlegen. Dieser kann gegen einen Freiheitsbeschluss entgegen seinem Antrag ein Verfahren, „référé-détention“ genannt, einleiten.
Dieses Verfahren verhindert die Freilassung bis die Ermittlungskammer in Berufung entschieden hat. Seit einem Gesetz vom 24. August 1993 besteht die Möglichkeit, den Vorsitzenen der Berufungskammer beim Appelationshof innerhalb von drei Tagen zu bitten, die Berufung gegen den Beschluss für aufschiebend zu erklären. Dieses Verfahren, „référé-détention“ genannt, wird jedoch nur selten praktiziert. Die nationale Beratungskommission für Menschenrechte (la „commission nationale consultative des droits de l´homme“) hat Zweifel darüber geäußert, ob das Verfahren der mit référé-détention mit der europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar ist...
Französisches Recht und europäische Rechtsprechung
Frankreich ist wegen einer Untersuchungshaft, welche die angemessenen Frist überschritten hatte wegen Verletzung von Artikel 5 § 3 der europäischen Menschenrechtskonvention (Rechtssache „Letellier“ vom 26. Juni 1991) vom europäischen Gerichtshof verurteilt worden.
Auch n einer anderen Sache Sache „Tomasi“ vom 27. August 1992 hat der europäische Gerichtshof entschieden, dass Fristen unangemessen lang gewesen seien. Dort hatten die Untersuchungsrichter und Berufungskammern rein abstrakt fünf Jahre und sieben Monate lang die Notwendigkeit einer Verlängerung des Freiheitsentzuges geprüf.
Kinder und Untersuchungshaft
Ein Gesetz vom 30. Dezember 1987 hat die Untersuchungshaft für bis zu 13-jährige abgeschafft; bei Vergehen von bis zu einem Alter von 16 Jahren.
Was Verbrechen betrifft, so schränkt ein Gesetz vom 6. Juli 1989 die Untersuchungshaft auf höchstens sechs Monate, einmal verlängerbar, ein. Dasselbe Gesetz befristet die Untersuchungshaft Jugendlicher über 16 Jahre auf einen Monat, sofern die verwirkte Freiheitsstrafe nicht höher als sieben Jahre ist.
Seit Ende der 90er Jahre setzt die Gesetzgebung als Antwort auf den Anstieg jugendlicher Kriminalität den Schwerpunkt darauf, Forderungen der Gesellschaft zu genügen, So hat ein Gesetz vom 1. Juli 1996 Eilverfahren eingeführt, wie zum Beispiel die Vernehmung des Jugendlichen vor dem Jugendgericht binnen drei Monaten, obwohl die Einrichtung von Erziehungsmaßregeln mehr Zeit in Anspruch nimmt.
Ein Gesetzentwurf vom 17. Juli 2002 sieht die Möglichkeit vor, diese Frist auf Antrag der Staatsanwaltschaft auf einen Zeitraum von zwischen zehn Tagen und einem Monat zu verkürzen. Außerdem sieht der Gesetzentwurf vom Jugendgericht auszusprechende Sanktionen gegenüber zehn- bis 13-jährigen vor, wie die Einrichtung geschlossener Erziehungszentren („centres éducatifs fermés“). Die Minderjährigen werden dort im Rahmen einer gerichtlichen Anordnung der Polizeiaufsicht oder Strafaussetzung zur Verwährung untergebracht. Im Falle der Nichteinhaltung der ihnen auferlegten Pflichten werden die Betroffenen in Untersuchungshaft überführt oder müssen ihre Freiheitsstrafe absitzen. Der Gesetzentwurf sieht also die Untersuchungshaft von Minderjährigen auch im Bereich der von Vergehen vor! Die nationale Beratungskommission für Menschenrechte hat in einem am 8. Juli 2002 vorgelegten Bericht zu Bedenken gegeben, dass diese Maßnahmen die aktuelle Tendenz der Inhaftierung Minderjähriger verschlimmert, obwohl gemäß Artikel 97 der internationalen Konvention der Rechte der Kinder die Freiheitsstrafe Minderjähriger ultimo ratio sein sollte und von so kurzer Dauer wie nur möglich sein soll.
Untersuchungshaft und Entschädigung
Ungerechtfertigte Untersuchungshaft kann durch Schadensersatz entschädigt werden.
Das „Unschuldsvermutungsgesetz“ vom 15. Juni 2000 verbessert die Modalitäten der Entschädigung, die im Laufe von Verfahren eingetreten sind, die durch Einstellung oder Freispruch beendet werden. Die Entschädigung wird quasi automatisch gewährt, außer in den folgenden drei Fällen (Einstellung wegen Geistesstörung, spätere Amnestie oder Selbstanklage des Betroffenen).
Literatur: Heymann-Doat, Arlette; Libertés publiques et droits de l´homme, L.G.D.J., 2002.
Pouille, André, Roche, Jean, Libertés publiques et droits de l´homme, Dalloz, 2002.
Anne Krost, Licenciée en Droit, Maître en Droit (französische Juristin) (vom 18.10.2005)
Die Untersuchunhshaft stellt in unserem Kulturkreis die einschneidenste staatliche Maßnahme gegen die Grundreiheitsrechte des Einzelnen dar, obwohl sie bereits dann zur Anwendung kommt, wenn die Unschuldsvermutung noch Wirkung entfalten muss, - das heißt, vor einer Verurteilung. Da die gesetzlichen Regelungen erheblich von der deutschen Rechtslage abweichen, sollen nachfolgend die wichtigsten Rahmenregelungen wiedergegeben werden.
Untersuchungshaft in Frankreich
Seit dem Gesetz vom 17. Juli 1970 ist die Untersuchungshaft nur noch aus ganz genau definierten Gründen erlaubt: der Untersuchungsrichter kann sie sowohl im Bereich der Vergehen als auch der Verbrechen anordnen, sofern die verwirkte Strafe zwei oder mehr Jahren Freiheitsstrafe entspricht und sie für die Ermittlung oder im Interesse der öffentlichen Ordnung erforderlich ist. Außerdem muss die richterliche Verfügung besonders begründet sein. Allerdings hat dieses Gesetz, anders als vom Gesetzgeber erhofft, nicht dazu geführt, dass sich die Anordnungen der Untersuchungshaft sich reduziert hätten
Ein neueres Gesetz vom 30. Dezember 1996 unterstreicht den Ausnahmecharakter, den die Untersuchungshaft innehabe soll (Artikel 144 des französischen Strafprozessbuchs), was bereits Artikel 137 C.P.P. festschrieb. Danach muss die Untersuchungshaft das einzige Mittel sein, um bestimmte, abschließend im Gesetz aufgezählte Ziele zu erreichen: Beweise zu erhalten, Einfluss oder Absprachen zu verhindern, die betreffende Person zu beschützen, die Verfügbarkeit der Person gegenüber der Justiz zu gewährleisten, der Straftat ein Ende zu setzen oder ihrer Wiederholung vorzubeugen oder eine außerordentliche und anhaltende Störung der öffentlichen Ordnung zu beenden.
Das Gesetz vom 15. Juni 2000, in Frankreich „Unschuldsvermutungsgesetz“ genannt, beschränkt diejemigen Fälle, in denen Untersuchungshaft angeordnet werden kann sowie ihre Dauer. So ist sie nur dann zulässig, wenn sich jemand eines Vergehens oder Verbrechens strafbar gemacht hat, das mit Freiheitsstrafe von drei oder mehr Jahren sanktioniert ist.
Bei Vermögensdelikten beträgt das erforderliche Mindestmaß grundsätzlich hingegen fünf Jahre (Artikel 143-1 C.P.P.).
Seit einem neueren Gesetz vom 4. März 2002 kann die Untersuchungshaft bei Vermögensdelikten allerdings auch dann angeordnet werden, wenn diese mit einer Freiheitsstrafe von drei oder mehr Jahren bestraft ist, nämlich dann, wenn die Person in den vergangenen sechs Monaten wegen einer Straftat verfolgt wurde, welche mit zwei oder mehr Jahren Freiheitsstrafe bestraft wird.
Ebenfalls seit dem Gesetz vom 15. Juni 2000 ist die Untersuchungshaft zeitlich auf maximal vier Monate beschränkt. Handelt es sich um ein Vergehen, kann sie bis zu einem Jahr verlängert werden, wenn der/die Betroffene eine Strafe von über fünf Jahren verwirkt und bereits zu einer Strafe für ein Verbrechen oder einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr verurteilt worden ist (Artikel 145-1 C.P.P). Bezüglich Verbrechen beschränkte das neue Gesetz die Untersuchungshaft im Prinzip auf eine maximale Dauer von zwei Jahren.
Seit einem Gesetz vom 9. September 2002 gilt als Grundsatz die Dauer von einem Jahr. Wenn die verwirkte Strafe höher bei mehr als 2 Jahren liegt, beträgt die Höchstdauer mindestens drei Jahre.
Bei bestimmten Delikten wie Drogenhandel, Terrorismus, Förderung sexueller Handlungen zwischen anderen oder der Prostitution, Erpressung und in krimineller Vereinigung begangenen Verbrechen kann die Untersuchungshaft sogar bis zu vier Jahre andauern (Artikel 145-2).
Der Gesetzentwurf vom 17. Juli 2002 sieht die Möglichkeit vor, dass die verwirkte Vergehensstrafe drei Jahre beträgt; dies sogar bei Vermögensdelikten. Die Dauer der Untersuchungshaft kann um acht zusätzliche Monate bei Vergehen und zwölf Monate bei Verbrechen verlängert werden.
Das Verfahren
Seit dem Gesetz vom 9. Juli 1984 ist vor jeder Untersuchungshaft eine kontradiktorische Verhandlung durch den Ermittlungsrichter obligatorisch.
Die Kommission für Strafgerichtsbarkeit und Menschenrechte (la commission „justice pénale et droits de l´homme“) hat Vorschläge gemacht, die Rolle des Ermittlungsrichters zu reformieren, damit nicht mehr Untersuchungs- und Beschlussbefugnis in seinen alleinigen Händen liegen.
Ein Gesetz vom 4. Januar 1993 entzog dem Ermittlungsrichter schließlich die Entscheidungsbefugnis, Untersuchungshaft anzuordnen und vertraute diese Aufgabe einer speziell hierfür eingerichtete Kammer, bestehend aus einem Richter und zwei Schöffen, an. Diese Reform trat jedoch nie in Kraft.
Per Gesetz vom 15. Juni 2000 wurde ein vom Ermittlungsrichter getrennten Richter eingestezt, der „juge des libertés et de détention“, der vom Großinstanzgericht ernannt wird und nun die über die Untersuchungshaft beschließen und diese gegebenfalls auch verlängern kann. In neun von zehn Fällen folgt der „juge des libertés et de détention“ allerdings dem Vorschlag des Staatsanwaltes.
Wenn der Ermittlungsrichter hingegen nicht dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgt und nicht den „juge des libertés et de détention“ anruft, um Untersuchungshaft zu beantragen, muss er dem Staatsanwalt unverzüglich einen motivierten Beschluss vorlegen. Dieser kann gegen einen Freiheitsbeschluss entgegen seinem Antrag ein Verfahren, „référé-détention“ genannt, einleiten.
Dieses Verfahren verhindert die Freilassung bis die Ermittlungskammer in Berufung entschieden hat. Seit einem Gesetz vom 24. August 1993 besteht die Möglichkeit, den Vorsitzenen der Berufungskammer beim Appelationshof innerhalb von drei Tagen zu bitten, die Berufung gegen den Beschluss für aufschiebend zu erklären. Dieses Verfahren, „référé-détention“ genannt, wird jedoch nur selten praktiziert. Die nationale Beratungskommission für Menschenrechte (la „commission nationale consultative des droits de l´homme“) hat Zweifel darüber geäußert, ob das Verfahren der mit référé-détention mit der europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar ist...
Französisches Recht und europäische Rechtsprechung
Frankreich ist wegen einer Untersuchungshaft, welche die angemessenen Frist überschritten hatte wegen Verletzung von Artikel 5 § 3 der europäischen Menschenrechtskonvention (Rechtssache „Letellier“ vom 26. Juni 1991) vom europäischen Gerichtshof verurteilt worden.
Auch n einer anderen Sache Sache „Tomasi“ vom 27. August 1992 hat der europäische Gerichtshof entschieden, dass Fristen unangemessen lang gewesen seien. Dort hatten die Untersuchungsrichter und Berufungskammern rein abstrakt fünf Jahre und sieben Monate lang die Notwendigkeit einer Verlängerung des Freiheitsentzuges geprüf.
Kinder und Untersuchungshaft
Ein Gesetz vom 30. Dezember 1987 hat die Untersuchungshaft für bis zu 13-jährige abgeschafft; bei Vergehen von bis zu einem Alter von 16 Jahren.
Was Verbrechen betrifft, so schränkt ein Gesetz vom 6. Juli 1989 die Untersuchungshaft auf höchstens sechs Monate, einmal verlängerbar, ein. Dasselbe Gesetz befristet die Untersuchungshaft Jugendlicher über 16 Jahre auf einen Monat, sofern die verwirkte Freiheitsstrafe nicht höher als sieben Jahre ist.
Seit Ende der 90er Jahre setzt die Gesetzgebung als Antwort auf den Anstieg jugendlicher Kriminalität den Schwerpunkt darauf, Forderungen der Gesellschaft zu genügen, So hat ein Gesetz vom 1. Juli 1996 Eilverfahren eingeführt, wie zum Beispiel die Vernehmung des Jugendlichen vor dem Jugendgericht binnen drei Monaten, obwohl die Einrichtung von Erziehungsmaßregeln mehr Zeit in Anspruch nimmt.
Ein Gesetzentwurf vom 17. Juli 2002 sieht die Möglichkeit vor, diese Frist auf Antrag der Staatsanwaltschaft auf einen Zeitraum von zwischen zehn Tagen und einem Monat zu verkürzen. Außerdem sieht der Gesetzentwurf vom Jugendgericht auszusprechende Sanktionen gegenüber zehn- bis 13-jährigen vor, wie die Einrichtung geschlossener Erziehungszentren („centres éducatifs fermés“). Die Minderjährigen werden dort im Rahmen einer gerichtlichen Anordnung der Polizeiaufsicht oder Strafaussetzung zur Verwährung untergebracht. Im Falle der Nichteinhaltung der ihnen auferlegten Pflichten werden die Betroffenen in Untersuchungshaft überführt oder müssen ihre Freiheitsstrafe absitzen. Der Gesetzentwurf sieht also die Untersuchungshaft von Minderjährigen auch im Bereich der von Vergehen vor! Die nationale Beratungskommission für Menschenrechte hat in einem am 8. Juli 2002 vorgelegten Bericht zu Bedenken gegeben, dass diese Maßnahmen die aktuelle Tendenz der Inhaftierung Minderjähriger verschlimmert, obwohl gemäß Artikel 97 der internationalen Konvention der Rechte der Kinder die Freiheitsstrafe Minderjähriger ultimo ratio sein sollte und von so kurzer Dauer wie nur möglich sein soll.
Untersuchungshaft und Entschädigung
Ungerechtfertigte Untersuchungshaft kann durch Schadensersatz entschädigt werden.
Das „Unschuldsvermutungsgesetz“ vom 15. Juni 2000 verbessert die Modalitäten der Entschädigung, die im Laufe von Verfahren eingetreten sind, die durch Einstellung oder Freispruch beendet werden. Die Entschädigung wird quasi automatisch gewährt, außer in den folgenden drei Fällen (Einstellung wegen Geistesstörung, spätere Amnestie oder Selbstanklage des Betroffenen).
Literatur: Heymann-Doat, Arlette; Libertés publiques et droits de l´homme, L.G.D.J., 2002.
Pouille, André, Roche, Jean, Libertés publiques et droits de l´homme, Dalloz, 2002.
Anne Krost, Licenciée en Droit, Maître en Droit (französische Juristin) (vom 18.10.2005)