Das Abstraktionsprinzip im französischen Recht
Abstraktionsprinzip und Konsensprinzip
Das so genannte Abstraktionsprinzip stellt eine Besonderheit des deutschen Rechts dar. Es gebietet, zwischen schuldrechtlichen und sachenrechtlichen Rechtsgeschäften zu unterscheiden. Es überrascht vor allem den juristischen Laien, aber auch Fachleute aus dem Ausland.
Es mutet schon etwas theoretisierend und gekünstelt an, wenn man für einen bloßen Brötchenkauf in Deutschland 3 Rechtsgeschäfte verschiedener Natur abschließt, ohne es zu wissen.
Kauft man das Brötchen in einer Bäckerei in Frankreich, so schließt man lediglich einen Kaufvertrag ab. Das erscheint schlüssig. Die Parteien einigen sich darüber, dass der Käufer den Kaufpreis zahlt und der Verkäufer das Brötchen im Gegenzug dem Käufer übergibt und ihm natürlich Eigentum daran verschafft. Das erscheint auch dem Nichtjuristen logisch. Der Eigentumsübergang findet im Moment der Einigung im Rahmen des Kaufvertrages statt. Die Übergabe des Brötchens und im Gegenzug des Kaufpreises haben keine eigenständige rechtliche Bedeutung, sondern erfolgen lediglich in Erfüllung der gegenseitigen Vertragspflichten.
Zum Eigentumserwerb reicht die Einigung aus, der Konsens der Parteien, weshab man nicht vom Abstraktionsprinzip, sondern vom Konsensprizip des französsichen Rechts spricht.
Dem deutschen Gesetzgeber war dies offenbar zu einfach.
Er hat Rechtsregeln im Bürgerlichen Gesetzbuch kodifiziert, die eine klare Trennung zwischen Schuld und sachenrechtlichen Geschäften ziehen und den Brötchenkauf rechtlich betrachtet etwas komplizierter ausgestalten.
Wer in Deutschland ein Brötchen kauft, schließt mehrere Geschäfte ab. Es sind gleich drei Verträge verschiedener Natur, ein schuldrechtlicher Kaufvertrag und zwei Verfügungsgeschäfte.
Durch den Kaufvertrag verpflichten sich die Vertragsparteien zur Übereignung von Eigentum. Der Verkäufer verpflichtet sich zur Übereignung des Brötchens und der Käufer zur Übereignung des Geldes, um den Kaufpreis zu bezahlen.
Mit Abschluss des Kaufpreises geht keinerlei Eigentum über.
Um dem jeweiligen Vertragspartner Eigentum zu verschaffen, müssen vielmehr noch sachenrechtliche Geschäfte abgeschlossen und vollzogen werden.
So müssen sich die Parteien einig sein, dass der Verkäufer dem Käufer das Brötchen überträgt (insoweit bestehen Überschneidungen mit dem Vertragsinhalt des Kaufvertrages) sowie der Käufer dem Verkäufer den Kaufpreis. Damit ist auf deutschem Boden aber noch kein Eigentum übertragen. Das Brötchen muss vielmehr noch übergeben werden, um ins Eigentum des Käufers überzugehen, es sei denn, der Käufer hat das Brötchen bereits an sich genommen ( und damit Besitz ergriffen).
Im BGB heißt das wie folgt:
§ 433 Vertragstypische Pflichten beim Kaufvertrag
(1) Durch den Kaufvertrag wird der Verkäufer einer Sache verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen. Der Verkäufer hat dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen.
(2) Der Käufer ist verpflichtet, dem Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen.
§ 929 Einigung und Übergabe
Zur Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache ist erforderlich, dass der Eigentümer die Sache dem Erwerber übergibt und beide darüber einig sind, dass das Eigentum übergehen soll. Ist der Erwerber im Besitz der Sache, so genügt die Einigung über den Übergang des Eigentums.
In Frankrech heiß es im Code civil::
Article 1582
La vente est une convention par laquelle l'un s'oblige à livrer une chose, et l'autre à la payer.
Elle peut être faite par acte authentique ou sous seing privé.
Auch bei der Immobilienveräußerung gelten dieselben Prinzipien.
Ein (notarieller) Kaufvertrag reicht nach deutschem Recht nicht für die Eigentumsübertragung aus.
Es bedarf vielmehr für die Wirksamkeit des Eigentumsübergangs der Eintragung im Grundbuch, welche dieselbe Wirkung hat, wie die Übergabe einer beweglichen Sache im Sinne von § 929 BGB
§ 925 BGB Auflassung
(1) Die zur Übertragung des Eigentums an einem Grundstück nach § 873 erforderliche Einigung des Veräußerers und des Erwerbers (Auflassung) muss bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Teile vor einer zuständigen Stelle erklärt werden. Zur Entgegennahme der Auflassung ist, unbeschadet der Zuständigkeit weiterer Stellen, jeder Notar zuständig. Eine Auflassung kann auch in einem gerichtlichen Vergleich oder in einem rechtskräftig bestätigten Insolvenzplan erklärt werden.
(2) Eine Auflassung, die unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung erfolgt, ist unwirksam.
Damit es nicht zu verständlich wird, bezeichnend der deutsche Gesetzgeber die Einigung im Zusammenhang mit Grundstücksgeschäften oft als "Auflassung".
Die Notwendigkeit der Eintragung im Grundbuch ergibt sich schließlich aus § 873 BGB:
§ 873 Erwerb durch Einigung und Eintragung
(1) Zur Übertragung des Eigentums an einem Grundstück, zur Belastung eines Grundstücks mit einem Recht sowie zur Übertragung oder Belastung eines solchen Rechts ist die Einigung des Berechtigten und des anderen Teils über den Eintritt der Rechtsänderung und die Eintragung der Rechtsänderung in das Grundbuch erforderlich, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt.
(2) Vor der Eintragung sind die Beteiligten an die Einigung nur gebunden, wenn die Erklärungen notariell beurkundet oder vor dem Grundbuchamt abgegeben oder bei diesem eingereicht sind oder wenn der Berechtigte dem anderen Teil eine den Vorschriften der Grundbuchordnung entsprechende Eintragungsbewilligung ausgehändigt hat.
Auch insoweit ist die Rechtslage anders als in Frankreich, wo das Eigentum bereits mit Einigung gemäß notariellen Kaufvertrages übergeht.
Bis zur Eintragung dieses Eigentumsübergangs kann dieser Dritten hingegen nicht entgegengehalten werden.
Dasselbe gilt sinngemäß die Bestellung von Hypotheken betreffend.
Drittwirkung erfordert auch in Frankreich eine Eintragung in einem öffentlichen Register.
Nils H. Bayer
Deutsch-französischer Rechtsanwalt (Berlin-Paris)
Avovat franco-allemand (Berlin-Paris)
Berlin 22.6.2017