Obgleich die deutsche Strafanzeige ein französisches Pendant besitzt, nämlich die "plainte pénale", sind die Rechtsfolgen bei erstatteter Strafanzeige (mit oder ohne Strafantrag) nach dem deutschen Recht nicht unbedingt dieselben wie jene bei Erstattung einer Strafanzeige in Frankreich. In Deutschland ist, für den Franzosen und den Laien völlig unverständlich, zudem zwischen Strafanzeige und Strafantrag zu unterscheiden.
Die Strukturabweichung im Institut der Strafanzeige nach deutschem und französischem Strafrecht ist der Tatsache geschuldet, dass das französische Strafrecht kein Offizialprinzip im engeren Sinne kennt.
D.h., Polizei, Staatsanwaltschaft und Untersuchungsrichter sind nach französischem Strafprozessrecht nicht verpflichtet, Straftaten zu verfolgen soweit sie davon Kenntnis erlangen.
Dies steht im Widerspruch zur eindeutigen deutschen Rechtslage Offizialdelikte betreffend.
Offizialdelikte
Insoweit bestimmt § 152 Abs. 2 der Strafprozessordnung, dass die Staatsanwaltschaft verpflichtet ist, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen (und soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist).
Das bedeutet auch, dass sich der deutsche Staatsanwalt strafbar macht, wenn er zwar von Straftaten Kenntnis erlangt, aber nicht ermittelt oder die Ermittlungen einstellt, obgleich damit zu rechnen ist, dass der Straftäter verurteilt wird. In diesem Fall macht r sich der Strafvereitelung im Amt strafbar, einem besonders schwer bestraften Fall der Strafvereitelung. Letztere bestimmt in § 258 der deutschen Strafpozessordnung:
§ 258 StPO: Strafvereitelung
(1) Wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, daß ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft oder einer Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) unterworfen wird, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Folglich muss es sich ein Staatsanwalt in Deutschland dreimal überlegen, ob er ein Verfahren einstellt oder gar nicht aufnimmt, falls gewichtige Anhaltspunkte dafür sprechen, dass der Täter verurteilt würde.
Ausreichend ist hierfür, dass er Kenntnis von der Begehung eines Offizialdeliktes erlangt.
§ 152 Abs. 2 der Strafprozessordnung lässt dann eine Ausnahme zu, wenn anstelle eines "Offizialdeliktes" ein "Antragsdelikt" begangen worden ist.
Der Hausfriedensbruch ist etwa ein Antragsdelikt.
Folge dessen ist, dass eine Strafanzeige durch die Staatsanwaltschaft eingestellt werden kann, soweit nicht neben der Strafanzeige zugleich Strafantrag gestellt worden ist.
Der Anzeigeerstatter erhält in einem solchen Fall nach ein paar Wochen oder Monaten einen Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft, der darauf verweist, dass mangels Strafantrages keinerlei weitere Verfolgung geboten sei.
Er wird sich in einem solchen Falle doppelt ungerecht behandelt fühlen, zum einen aufgrund der gegen ihn begangenen Straftat, zum anderen wegen fehlender Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden., die einfach die Terminologie modifizieren und insistieren, dass eine Strafanzeige keinen Strafantrag impliziere.
Um solches zu verhindern, muss der Anzeigeerstatter ausdrücklich den Zusatz hinzufügen, "zugleich Strafantrag" zu erstatten oder auf entsprechenden Formularen das Kreuz bei "Strafantrag" setzen..
Solches ist bei den so genannten .Offizialdelikten nicht notwendig.
Offizialdelikte sind Straftaten, an deren Verfolgung der Staat ein eigenes "öffentliches Interesse" hat, welches über das Interesse des einzelnen Betroffenen hinaus geht. Dazu gehören etwa Mord oder Betrug. Erlangt der Staatsanwalt davon Kenntnis und fällt das Delikt in seine Zuständigkeit, muss er ermitteln und alle weiteren Schritte einleiten, um sich nicht selbst strafbar zu machen.
Die Kenntnis erlangt er durch die so genannte Strafanzeige. Letztere ist folglich nichts anderes als eine Mitteilung des Anzeigeerstatters über strafbare Handlungen gegenüber der Polizei oder der Staatsanwaltschaft.
Obgleich der Anzeigeerstatter in der Regel mit seiner Strafanzeige in der Regel gerade darauf abzielt, die Verfolgung des Straftäters durch die Strafverfolgungsbehörden zu bewirken, muss er dies ausdrücklich mit dem Begriff "Strafantrag" herausstellen, um sicher zu sein, dass die Sache ohne sein Zutun durch den Staat erledigt wird,
Ab diesem Zeitpunkt hat der Staat sein Strafverfolgungsmonopol, d.h., das Strafverfahren nimmt grundsätzlich ohne Partizipation des Strafanzeigeerstatters seinen Gang.
Der französische Staatsanwalt hingegen ist zu keiner Zeit zur Ermittlung und Anklageerhebung verpflichtet. Ob er eine ihm zur Kenntnis gelangte Straftat verfolgt, kann er sanktionslos frei entscheiden. Eine Strafanzeige kann demzufolge auch bei Betrug völlig sanktionslos bleiben.
Der Geschädigte ist gleichwohl nicht völlig machtlos.
Möchte er eine strafrechtliche Verfolgung sicherstellen, muss er zugleich Strafanzeige erstatten und sich als Zivilpartei in diesem Strafverfahren bestellen ("plainte avec constitution de partie civile").
Das deutsche Recht kennt solches annähernd als so genanntes Adhäsionsverfahren. Komplett vergleichbar ist dieses mit der französischen Strafanzeige samt Bestellung als Zivilpartei hingegen nicht.