Die Zukunft des Rechtsanwalts: Eine Podiumsdiskussion zu diesem Thema mit Vergleichen zum Berufsbild des Rechtsanwalts in Frankreich
vom 25.11.2004
oder in Großbritannien fand am 23.11.2004 im Atrium der Littenstrasse 9 statt. vom 25.11.2004 Ein Beitrag von Nils H. Bayer, Deutsch-Französischer Rechtsanwalt (Rechtsanwalt und Avocat à la Cour) Berlin-Paris
Die Zukunft der Anwaltschaft: Anlässlich des 125 jährigen Bestehens der Rechtsanwaltskammer Berlin fand am Abend des 23.11.2004 eine Podiumsdiskussion zu diesem Thema mit Vergleichen zum Berufsbild des Rechtsanwalts in Frankreich oder in Großbritannien im Atrium der Littenstrasse 9 statt.
Die Moderation oblag dem Kollegen RA Prof. Dr. Raue, der es gekonnt verstand, Äußerungen der weiteren Diskussionsteilnehmer zu überdehnen oder zu verkürzen, um einen vermeintlichen Dissenz aufzubauen.
Tatsächlich waren die Profile der Diskussionsteilnehmer offensichtlich bereits von den Planern bewusst so ausgesucht worden, dass diese jeweils grundlegend verschiedene Auffassungen vertreten sollten. Die Diskussion entwickelte sich schließlich auch dergestalt, dass man resümieren kann, an diesem Abend keinen wesentlichen gemeinsamen Nenner gefunden zu haben; mit Ausnahme der Tatsache, dass die in der juristischen Ausbildung erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten der heutigen Absolventen jene früherer Jahre weit übertreffen sollen. Anderes soll wiederum hinsichtlich der Berufseinsteiger in den Anwaltsberuf deshalb gelten, weil die Juristenausbildung nach wie vor zu wenig anwaltsspezifisch sei und im übrigen, und darin soll sich die heutige Situation von jener vor etwa einer Generation unterscheiden, weil sich der Masse der Junganwälte keine Gelegenheit mehr biete, als Angestellter oder sonstiger anwaltlicher Mitarbeiter im Beruf selbst Praxiserfahrung zu sammeln.
Obleich dieser Tatsache bewusst, war sich das Diskussionsforum weitgehend darüber einig, dass gleichwohl keine Zulassungsbeschränkungen zum deutschen Anwaltsberuf eingeführt werden sollten. Als Argument brachte insbesondere der in Hamburg praktizierende RA und Präsident der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Hamburg Axel C. Filges als Vertreter der Stimme der "Großkanzleien", ein, dass sich die Qualität der anwaltlichen Leistung in den letzten Jahren infolge des zunehmenden Wettbewerbs dramatisch verbessert habe und Zulassungsgeschränkungen zu einer automatischen Senkung der Qualität der anwaltlichen Leistung führen würde. Denn welcher Anwalt würde sich schon besondere Mühe bei seiner Arbeit geben, wenn seine Honorare mangels Ernst zu nehmenden Wettbewerbs gesichert seien.
Ob solche Überlegungen tatsächlich das schlagende Argument der Diskussion um die Zulassungsbeschränkung darstellen, kann angezweifelt werden. Kann doch der Wettbwerb nach hiesiger Auffassung nur eines des verschiedenen qualitätssichernden Instrumentarien darstellen und hört man doch jüngst von Mandantenseite aus Brüssel, dass die Qualität der Arbeit der dort etablierten Kanzleien in den letzten Jahren dramatisch zurückgegangen, die Kosten der Rechtsberatung hingegen ebenso dramatisch angestiegen seien. Und macht man sich deutlich, dass in großen, aber auch in kleinen Kanzleien, je größer der Wettbewerb wird, desto mehr Berufsträger darauf achten müssen, lukrative Mandate zu akquirieren.
Der infolge des Wettbewerbs steigende Kostendruck, der nahezu alle Anwälte trifft, mag zwar parziell zu einer Qualitätssteigerung in manchen Breichen bei manchen Großmandaten führen. Sie bringt aber auch die Gefahr mit sich, dass diejenigen Mandate, die weniger lukrativ erscheinen, rechnet man nach Stunden oder nach Streitwert ab, nicht mit der erforderlichen Sorgfalt bearbeitet werden. Denn ein € 15.000-Fall darf keine € 15.000,- Honorare kosten. Kostet er aber, falls ein Kollege mit einem Stundensatz von € 750,- 20 Stunden abrechnet. Solches ist für den Mandanten unattraktiv und inakzeptabel. Will der Berufsträger das Mandat nicht verlieren, darf er kein überhöhtes Honorar anbieten. Rechnet er nunmehr nur die Hälfte seiner für den Fall investierten 20 Stunden ab, wird er entweder auch nur die Hälfte der Zeit in den Fall investieren oder er muss im Hinblick auf sein von der Sozietät vorgegebenes Einnahmensoll, das nach angelsächischem Modell immer mehr um sich greift, durch höhere Abrechnung bei einem anderen Fall wiedergutmachen. Da ihm aber täglich nur 24 Stunden Zeit zur Verfügung stehen, sind die Reaktionsmöglichkeiten des Anwalts als Individuum innerhalb eines straff finanztechnisch organisierten und geldorientierten "Berufsverbandes" sehr begrenzt.
Nicht viel besser geht es dem nach RVG abrechnenden Kollegen einer kleineren Kanzlei bei einem derartigen Streitwert, falls der Stundenaufwand bei sorgfältiger Mandatsbetreuung bei 20 Stunden liegen würde. Diese sind mit den Gebühren des RVG kaum mehr zu finanzieren, da dieses Gesetz von der Annahme ausgeht, das der Rechtsanwalt sowohl hoch lukrative als auch weniger einträgliche Mandate betreut und sich infolge dessen ein sozial ausgleichender Mittelbetrag ergibt. Die Masse der Rechtsanwälte bearbeitet aber nicht die hoch lukrativen Mandate, sondern muss sich mit denjenigen Fällen zufrieden geben, die niedrige Streitwerte aufweisen. Dies hat zur Folge, dass der Kollege, der an kleineren Fällen arbeitet, in derselben Zeit wie jener Kollege, der hoch lukrative Mandate bearbeitet, eine Vielzahl von Fällen erfassen und aufarbeiten muss. Ergo verbleibt ihm für das einzelne Mandat viel weniger Zeit als seinem Kollegen. Die Folge dessen ist wieder zwangsläufig ein Qualitätsverlust, da bekanntermaßen auch wenig lukrative Fälle rechtlich äußerst anspruchsvoll sein können. Diese gesamte, meines Erachtens entscheidende Fragestellung bei der Argumentation mit Qualitätsstandards fehlte in der Diskussionsrunde vom 23.11.2004 leider völlig.
Hier hätte sich ein Einschreiten der Frau Kollegin RA'in Weyde angeboten, welche die noch relativ seltene Karriere der Fachanwältin für Sozialrecht offenbar erfolgreich eingeschlagen hat. Es handelt sich, soweit besteht sicherlich Einigkeit, um eine völlig debordierende und komplizierte Spezialität des deutschen Rechts, die zudem häufig wenig lukrative Mandate mit sich bringt, es sei denn man vertritt ausschließlich zahlungsunwillige Versicherungsträger. Wem garantiert in diesem Falle aber den vermeintlich Anspruchsberechtigten eine hochqualitative Rechtsvertretung? Eine ansatzweise Auseinandersetzung mit dieser Problematik wäre wünschenwert gewesen, zumindest wenn es um die Frage der Zulassungsbeschränkung,- ja oder nein - geht, aber auch soweit das Wettbewerbselement zum Allerheilmittel erhoben wird.
Tatsache wird wohl eher sein, dass die dramatische Zunahme neuer Berufsträger die oben beschriebenen Probleme verschärfen und ein Zweiklassenrecht entstehen wird, entsprechend der Medizin.
Verkürzt und provokativ stellt sich das wie folgt dar: Wer gut zahlt, erhält ordentliche juristische Arbeit mit herausragender Qualität. Und wer zwar Recht hat, aber arm ist, der kann keine Qualität mehr erwarten. Das sind die Gesetze des Marktes und des Wettbewerbs. Mit dem Grundgedanken der BRAGO und des RVG hat dies nicht ansatzweise mehr etwas zu tun. Mit den sich nach jüngster Mitteilung wieder verfestigenden Anwaltstugenden, denen etwa in Frankreich eine noch weitaus größere Bedeutung zugemessen wird als in Deutschland, ebensowenig.
Das deutsche Berufsrecht hat - anders als die Satzungen der verschiedenen französischen Anwaltsorden - keine allgemeinen Anwaltsgrundpflichten zu sanktionierbaren Rechtspflichten erhoben. Solches ist auch derzeit schwer denkbar, wenn man etwa das französische Beispiel der Pflicht des nicht geldorientierten Handelns erwähnen mag. Wie sollte ein Partner einer Sozietät dieser Grundpflicht nachkommen, wenn ihn die Sozietät zwingt, ein bestimmtes Jahresvolumen nicht zu unterschreiten, andernfalls er seine Karriere bei der "Rechtsanwalts"-Sozietät beenden muss? Und wie ist die Handhabung Verschwiegenheitspflicht zu werten, wenn es deutschen Rechtsanwälten erlaubt ist, mit der Angabe der konkreten Namen ihrer Mandanten in Prospekten oder in durch teure Werbeanzeigen unterstützten Veröffentlichungen von Verlagen zu werben?
Hiervon ist der französische Advokat in der Tat noch weit von entfernt. Sieht doch etwa das Règlement intérieur des Ordens der Avocats beim Berufungsgerichtshof Paris für internationale Sozietäten vermittelnd vor, dass Prospekte mit solchen Inhalten nur außerhalb Frankreichs in Kanzleien ausliegen dürfen, in denen dann überwiegend ausländische Kollegen, die keine französischen Anwälte sind, ihren Beruf nach dortigem Recht ausüben.
Zwecks Qualitätssicherung wurde von Herrn RA Prof Dr. Dr. Ignor die Idee der Einführung eines Anwaltsassessors vorgeschlagen, nachdem er wohl zurecht die Vorteile der deutschen Referendarsausbildung, aber nicht deren Nachteile, dargelegt hatte. Erstere eröffnen auch dem zukünftigen Anwalt die Möglichkeit, sein späteres Gegenüber, den Richter oder Staatsanwalt in seiner Berufsausübung konkret kennen zu lernen und selbst aus der Perspektive des Richters oder Staatsanwalts vorübergehend zu praktizieren.
Als Vorbild benannte Prof. Ignor die österreichische Regelung. Diese Meinung war aber in der Runde nicht mehrheitsfähig, soweit das Modell erst im Anschluss an das zweite Staatsexamen vollzogen würde, da der Berufseintritt in diesem Falle noch weiter nach hinten verlagert würde.
Letzter Einwand ist nach hiesiger Meinung nicht ganz berechtigt.
Nehmen wir wieder das Beispiel Frankreichs. Im Anschluss an die Universität folgt die Anwaltsschule. Der Zugang zu dieser ist beschränkt. Die Universitätsabsolventen müssen erst eine schwierige, da selektierende, Eingangsprüfung ablegen. Nach dem Bestehen einer weniger schwierigen weiteren Prüfung (CAPA) gegen Ende der Anwaltsschule ist der Absolvent nach dem Recht der Anwaltskammer (Ordre) Paris nur dann zur dortigen Anwaltschaft zuzulassen, wenn er einen Ausbildungsvertrag mit einem dort zugelassenen Rechtsanwalt nachweist. Um dem durch Herrn RA Filges für solche Fälle befürchteten möglichen Ausbeutungseffekt der Junganwälte vorzubeugen, hat sich die Rechtsanwaltskammer Paris eine weitere Regelung einfallen lassen: den standardisierten "Rechtsanwaltsausbildungsvertrag". Das heißt, dem Junganwalt ist auch ein finanzieller Mindeststandard garantiert und er muss nicht bar jeder Praxis im Geschäftsverkehr auftreten, sondern er hat zwingend vorgeschrieben die Möglichkeit, bei einem erfahrenen Rechtsanwalt eigene Praxiserfahrung zu sammeln. Die Regelung ist daher durchaus geeignet, Qualität anwaltlicher Tätigkeit zu bewirken. Und das Argument des verzögerten Berufseintiges ist unzutreffend. Denn die sogenannten "Avocats stagiaires", die seit einigen Jahren als "Avocat" ohne Hinweis auf Ihre Funktion als Stagiaire auftreten dürfen, sind bereits in ihrem Beruf tätig. Sie dürfen nur noch kein eigenes Anwaltsbüro eröffnen. Das alles funktioniert natürlich nur, wenn man irgend eine Form der Zulassungsbeschränkung einführt, weshalb die grundsätzliche Ablehnung einer solchen durch das komplette Diskussionsforum hier nicht nachvollzogen werden kann.
Gleiches gilt für den Hinweis auf die angeblich so hervorragenden britischen Juristen, die uns so überlegen seien, obwohl es dort kein entsprechendes Anwaltsassessoriat gebe. Das entspricht schlichtwehg nicht der Realität. Der britische Jurist studiert drei oder vier Jahre an der Unniversität zwecks Erlangung eines rein britischen oder europäischen Bachelors (LL.B.). Er studiert in der Regel kein (eigentlich überwiegend für ausländische Studenten vorgesehenes, die Universität finanzierendes Studienjahr, das mit dem LL.M. beendet wird), an der Uni, sondern bewirbt sich nach Erlangung des weitaus schwierigeren, und ein komplettes Jurastudium beinhaltenden Abschlusses LL.B. direkt an einer Law School. Wird er dort aufgrund seiner guten Ergebnisse im LL.B. akzeptiert, verbringt er dort ein sehr praxisorientiertes Ausbildungsjahr). Die Plätze für diese Anwaltsschulen sind, ebenso wie in Frankreich, rar und ohne den Law School-Abschluss darf niemand Solicitor werden. Im Anschluss an diese Anwaltsschule wird der englische Jurist zwei Jahre lang "Traninee Solicitor", bevor er schließlich "echter" Solicitor wird (Die Regelungen für Barrister sind leicht anders). Das heißt, der englische Rechtsberater durchläuft gerade eine solche zweijährige Praxisausbildung am Arbeitsplatz innerhalb einer Kanzlei, während derer er auch verschiedene Stationen durchlauifen muss. Es gibt also eine Art Anwaltsassessor auch in England und dies mag der Grund sein, warum der Kollege Filges ansprechenden Qualitäten dieser Kollegen erkennt, wobei zwingend unterstellt werden muss, dass hier Spezialkenntnisse im Hinblick auf die Qualität gemeint sind. Würde man den britischen Junganwalt zu einem einfachen Problem aus anderen Rechsgebieten, wie etwa dem Verwaltungsrecht, außerhalb seiner Spezialisierung befragen, so würde er wahrscheinlich schnell seine Meinung zur Qualität der Arbeit des englischen Rechtsanwaltes ändern. In England ist der Markt bekanntermaßen bereits aufgeteilter als in Deutschland und der Spezialisierungsgrad übertriftt denjenigen, der in Deutschland im Gros der größeren wie kleineren Kanzleien zu verzeichnen ist.
Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass kein englischer Jurist Anwalt werden kann, falls er nach der Law School keinen der begehrten Traineeplätze erlangt hat, denn dieses ist letzte Voraussetzung für die spätere Zulassung als Solicitor und bedeutet in der Praxis eine weitere Selektion bzw. Zulassungsbeschränkung.
Das Anwaltsassessoriat hat sich demnach grunsätzlich in der Praxis der Nachbarländer bewährt. Nichts anderes scheint auch Herr Kollege RA Kilger zu meinen (Präsident des deutschen Anwaltsvereins), wenn er als Vertreter des "Einzelanwalts" für eine solche Ausbildung plädiert, allerdings innerhalb des Referendariats und nicht im Anschluss daran.
Leider fehlte die Zeit, einzene Standpunkte dezidiert zu vertreten, Abwägungen vorzunehmen und die zahlreich erschienenen Zuhörer in die Diskussion mit einzubeziehen. Einen Konsens über die zu ergreifenden Maßnahmen vermochten die Teilnehmer nicht zu finden. Aber das wäre auch verwunderlich, nachdem die Auseinandersetzung nach Auffassung von Herrn RA Prof. Dr. Raue bereits zu Lebzeiten von Sophokles dem Grunde nach begonnen haben soll.
Berlin, den 25.11.2004
Nils Holger Bayer
Rechtsanwalt und Avocat à la Cour
(vom 25.11.2004)
oder in Großbritannien fand am 23.11.2004 im Atrium der Littenstrasse 9 statt. vom 25.11.2004 Ein Beitrag von Nils H. Bayer, Deutsch-Französischer Rechtsanwalt (Rechtsanwalt und Avocat à la Cour) Berlin-Paris
Die Zukunft der Anwaltschaft: Anlässlich des 125 jährigen Bestehens der Rechtsanwaltskammer Berlin fand am Abend des 23.11.2004 eine Podiumsdiskussion zu diesem Thema mit Vergleichen zum Berufsbild des Rechtsanwalts in Frankreich oder in Großbritannien im Atrium der Littenstrasse 9 statt.
Die Moderation oblag dem Kollegen RA Prof. Dr. Raue, der es gekonnt verstand, Äußerungen der weiteren Diskussionsteilnehmer zu überdehnen oder zu verkürzen, um einen vermeintlichen Dissenz aufzubauen.
Tatsächlich waren die Profile der Diskussionsteilnehmer offensichtlich bereits von den Planern bewusst so ausgesucht worden, dass diese jeweils grundlegend verschiedene Auffassungen vertreten sollten. Die Diskussion entwickelte sich schließlich auch dergestalt, dass man resümieren kann, an diesem Abend keinen wesentlichen gemeinsamen Nenner gefunden zu haben; mit Ausnahme der Tatsache, dass die in der juristischen Ausbildung erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten der heutigen Absolventen jene früherer Jahre weit übertreffen sollen. Anderes soll wiederum hinsichtlich der Berufseinsteiger in den Anwaltsberuf deshalb gelten, weil die Juristenausbildung nach wie vor zu wenig anwaltsspezifisch sei und im übrigen, und darin soll sich die heutige Situation von jener vor etwa einer Generation unterscheiden, weil sich der Masse der Junganwälte keine Gelegenheit mehr biete, als Angestellter oder sonstiger anwaltlicher Mitarbeiter im Beruf selbst Praxiserfahrung zu sammeln.
Obleich dieser Tatsache bewusst, war sich das Diskussionsforum weitgehend darüber einig, dass gleichwohl keine Zulassungsbeschränkungen zum deutschen Anwaltsberuf eingeführt werden sollten. Als Argument brachte insbesondere der in Hamburg praktizierende RA und Präsident der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Hamburg Axel C. Filges als Vertreter der Stimme der "Großkanzleien", ein, dass sich die Qualität der anwaltlichen Leistung in den letzten Jahren infolge des zunehmenden Wettbewerbs dramatisch verbessert habe und Zulassungsgeschränkungen zu einer automatischen Senkung der Qualität der anwaltlichen Leistung führen würde. Denn welcher Anwalt würde sich schon besondere Mühe bei seiner Arbeit geben, wenn seine Honorare mangels Ernst zu nehmenden Wettbewerbs gesichert seien.
Ob solche Überlegungen tatsächlich das schlagende Argument der Diskussion um die Zulassungsbeschränkung darstellen, kann angezweifelt werden. Kann doch der Wettbwerb nach hiesiger Auffassung nur eines des verschiedenen qualitätssichernden Instrumentarien darstellen und hört man doch jüngst von Mandantenseite aus Brüssel, dass die Qualität der Arbeit der dort etablierten Kanzleien in den letzten Jahren dramatisch zurückgegangen, die Kosten der Rechtsberatung hingegen ebenso dramatisch angestiegen seien. Und macht man sich deutlich, dass in großen, aber auch in kleinen Kanzleien, je größer der Wettbewerb wird, desto mehr Berufsträger darauf achten müssen, lukrative Mandate zu akquirieren.
Der infolge des Wettbewerbs steigende Kostendruck, der nahezu alle Anwälte trifft, mag zwar parziell zu einer Qualitätssteigerung in manchen Breichen bei manchen Großmandaten führen. Sie bringt aber auch die Gefahr mit sich, dass diejenigen Mandate, die weniger lukrativ erscheinen, rechnet man nach Stunden oder nach Streitwert ab, nicht mit der erforderlichen Sorgfalt bearbeitet werden. Denn ein € 15.000-Fall darf keine € 15.000,- Honorare kosten. Kostet er aber, falls ein Kollege mit einem Stundensatz von € 750,- 20 Stunden abrechnet. Solches ist für den Mandanten unattraktiv und inakzeptabel. Will der Berufsträger das Mandat nicht verlieren, darf er kein überhöhtes Honorar anbieten. Rechnet er nunmehr nur die Hälfte seiner für den Fall investierten 20 Stunden ab, wird er entweder auch nur die Hälfte der Zeit in den Fall investieren oder er muss im Hinblick auf sein von der Sozietät vorgegebenes Einnahmensoll, das nach angelsächischem Modell immer mehr um sich greift, durch höhere Abrechnung bei einem anderen Fall wiedergutmachen. Da ihm aber täglich nur 24 Stunden Zeit zur Verfügung stehen, sind die Reaktionsmöglichkeiten des Anwalts als Individuum innerhalb eines straff finanztechnisch organisierten und geldorientierten "Berufsverbandes" sehr begrenzt.
Nicht viel besser geht es dem nach RVG abrechnenden Kollegen einer kleineren Kanzlei bei einem derartigen Streitwert, falls der Stundenaufwand bei sorgfältiger Mandatsbetreuung bei 20 Stunden liegen würde. Diese sind mit den Gebühren des RVG kaum mehr zu finanzieren, da dieses Gesetz von der Annahme ausgeht, das der Rechtsanwalt sowohl hoch lukrative als auch weniger einträgliche Mandate betreut und sich infolge dessen ein sozial ausgleichender Mittelbetrag ergibt. Die Masse der Rechtsanwälte bearbeitet aber nicht die hoch lukrativen Mandate, sondern muss sich mit denjenigen Fällen zufrieden geben, die niedrige Streitwerte aufweisen. Dies hat zur Folge, dass der Kollege, der an kleineren Fällen arbeitet, in derselben Zeit wie jener Kollege, der hoch lukrative Mandate bearbeitet, eine Vielzahl von Fällen erfassen und aufarbeiten muss. Ergo verbleibt ihm für das einzelne Mandat viel weniger Zeit als seinem Kollegen. Die Folge dessen ist wieder zwangsläufig ein Qualitätsverlust, da bekanntermaßen auch wenig lukrative Fälle rechtlich äußerst anspruchsvoll sein können. Diese gesamte, meines Erachtens entscheidende Fragestellung bei der Argumentation mit Qualitätsstandards fehlte in der Diskussionsrunde vom 23.11.2004 leider völlig.
Hier hätte sich ein Einschreiten der Frau Kollegin RA'in Weyde angeboten, welche die noch relativ seltene Karriere der Fachanwältin für Sozialrecht offenbar erfolgreich eingeschlagen hat. Es handelt sich, soweit besteht sicherlich Einigkeit, um eine völlig debordierende und komplizierte Spezialität des deutschen Rechts, die zudem häufig wenig lukrative Mandate mit sich bringt, es sei denn man vertritt ausschließlich zahlungsunwillige Versicherungsträger. Wem garantiert in diesem Falle aber den vermeintlich Anspruchsberechtigten eine hochqualitative Rechtsvertretung? Eine ansatzweise Auseinandersetzung mit dieser Problematik wäre wünschenwert gewesen, zumindest wenn es um die Frage der Zulassungsbeschränkung,- ja oder nein - geht, aber auch soweit das Wettbewerbselement zum Allerheilmittel erhoben wird.
Tatsache wird wohl eher sein, dass die dramatische Zunahme neuer Berufsträger die oben beschriebenen Probleme verschärfen und ein Zweiklassenrecht entstehen wird, entsprechend der Medizin.
Verkürzt und provokativ stellt sich das wie folgt dar: Wer gut zahlt, erhält ordentliche juristische Arbeit mit herausragender Qualität. Und wer zwar Recht hat, aber arm ist, der kann keine Qualität mehr erwarten. Das sind die Gesetze des Marktes und des Wettbewerbs. Mit dem Grundgedanken der BRAGO und des RVG hat dies nicht ansatzweise mehr etwas zu tun. Mit den sich nach jüngster Mitteilung wieder verfestigenden Anwaltstugenden, denen etwa in Frankreich eine noch weitaus größere Bedeutung zugemessen wird als in Deutschland, ebensowenig.
Das deutsche Berufsrecht hat - anders als die Satzungen der verschiedenen französischen Anwaltsorden - keine allgemeinen Anwaltsgrundpflichten zu sanktionierbaren Rechtspflichten erhoben. Solches ist auch derzeit schwer denkbar, wenn man etwa das französische Beispiel der Pflicht des nicht geldorientierten Handelns erwähnen mag. Wie sollte ein Partner einer Sozietät dieser Grundpflicht nachkommen, wenn ihn die Sozietät zwingt, ein bestimmtes Jahresvolumen nicht zu unterschreiten, andernfalls er seine Karriere bei der "Rechtsanwalts"-Sozietät beenden muss? Und wie ist die Handhabung Verschwiegenheitspflicht zu werten, wenn es deutschen Rechtsanwälten erlaubt ist, mit der Angabe der konkreten Namen ihrer Mandanten in Prospekten oder in durch teure Werbeanzeigen unterstützten Veröffentlichungen von Verlagen zu werben?
Hiervon ist der französische Advokat in der Tat noch weit von entfernt. Sieht doch etwa das Règlement intérieur des Ordens der Avocats beim Berufungsgerichtshof Paris für internationale Sozietäten vermittelnd vor, dass Prospekte mit solchen Inhalten nur außerhalb Frankreichs in Kanzleien ausliegen dürfen, in denen dann überwiegend ausländische Kollegen, die keine französischen Anwälte sind, ihren Beruf nach dortigem Recht ausüben.
Zwecks Qualitätssicherung wurde von Herrn RA Prof Dr. Dr. Ignor die Idee der Einführung eines Anwaltsassessors vorgeschlagen, nachdem er wohl zurecht die Vorteile der deutschen Referendarsausbildung, aber nicht deren Nachteile, dargelegt hatte. Erstere eröffnen auch dem zukünftigen Anwalt die Möglichkeit, sein späteres Gegenüber, den Richter oder Staatsanwalt in seiner Berufsausübung konkret kennen zu lernen und selbst aus der Perspektive des Richters oder Staatsanwalts vorübergehend zu praktizieren.
Als Vorbild benannte Prof. Ignor die österreichische Regelung. Diese Meinung war aber in der Runde nicht mehrheitsfähig, soweit das Modell erst im Anschluss an das zweite Staatsexamen vollzogen würde, da der Berufseintritt in diesem Falle noch weiter nach hinten verlagert würde.
Letzter Einwand ist nach hiesiger Meinung nicht ganz berechtigt.
Nehmen wir wieder das Beispiel Frankreichs. Im Anschluss an die Universität folgt die Anwaltsschule. Der Zugang zu dieser ist beschränkt. Die Universitätsabsolventen müssen erst eine schwierige, da selektierende, Eingangsprüfung ablegen. Nach dem Bestehen einer weniger schwierigen weiteren Prüfung (CAPA) gegen Ende der Anwaltsschule ist der Absolvent nach dem Recht der Anwaltskammer (Ordre) Paris nur dann zur dortigen Anwaltschaft zuzulassen, wenn er einen Ausbildungsvertrag mit einem dort zugelassenen Rechtsanwalt nachweist. Um dem durch Herrn RA Filges für solche Fälle befürchteten möglichen Ausbeutungseffekt der Junganwälte vorzubeugen, hat sich die Rechtsanwaltskammer Paris eine weitere Regelung einfallen lassen: den standardisierten "Rechtsanwaltsausbildungsvertrag". Das heißt, dem Junganwalt ist auch ein finanzieller Mindeststandard garantiert und er muss nicht bar jeder Praxis im Geschäftsverkehr auftreten, sondern er hat zwingend vorgeschrieben die Möglichkeit, bei einem erfahrenen Rechtsanwalt eigene Praxiserfahrung zu sammeln. Die Regelung ist daher durchaus geeignet, Qualität anwaltlicher Tätigkeit zu bewirken. Und das Argument des verzögerten Berufseintiges ist unzutreffend. Denn die sogenannten "Avocats stagiaires", die seit einigen Jahren als "Avocat" ohne Hinweis auf Ihre Funktion als Stagiaire auftreten dürfen, sind bereits in ihrem Beruf tätig. Sie dürfen nur noch kein eigenes Anwaltsbüro eröffnen. Das alles funktioniert natürlich nur, wenn man irgend eine Form der Zulassungsbeschränkung einführt, weshalb die grundsätzliche Ablehnung einer solchen durch das komplette Diskussionsforum hier nicht nachvollzogen werden kann.
Gleiches gilt für den Hinweis auf die angeblich so hervorragenden britischen Juristen, die uns so überlegen seien, obwohl es dort kein entsprechendes Anwaltsassessoriat gebe. Das entspricht schlichtwehg nicht der Realität. Der britische Jurist studiert drei oder vier Jahre an der Unniversität zwecks Erlangung eines rein britischen oder europäischen Bachelors (LL.B.). Er studiert in der Regel kein (eigentlich überwiegend für ausländische Studenten vorgesehenes, die Universität finanzierendes Studienjahr, das mit dem LL.M. beendet wird), an der Uni, sondern bewirbt sich nach Erlangung des weitaus schwierigeren, und ein komplettes Jurastudium beinhaltenden Abschlusses LL.B. direkt an einer Law School. Wird er dort aufgrund seiner guten Ergebnisse im LL.B. akzeptiert, verbringt er dort ein sehr praxisorientiertes Ausbildungsjahr). Die Plätze für diese Anwaltsschulen sind, ebenso wie in Frankreich, rar und ohne den Law School-Abschluss darf niemand Solicitor werden. Im Anschluss an diese Anwaltsschule wird der englische Jurist zwei Jahre lang "Traninee Solicitor", bevor er schließlich "echter" Solicitor wird (Die Regelungen für Barrister sind leicht anders). Das heißt, der englische Rechtsberater durchläuft gerade eine solche zweijährige Praxisausbildung am Arbeitsplatz innerhalb einer Kanzlei, während derer er auch verschiedene Stationen durchlauifen muss. Es gibt also eine Art Anwaltsassessor auch in England und dies mag der Grund sein, warum der Kollege Filges ansprechenden Qualitäten dieser Kollegen erkennt, wobei zwingend unterstellt werden muss, dass hier Spezialkenntnisse im Hinblick auf die Qualität gemeint sind. Würde man den britischen Junganwalt zu einem einfachen Problem aus anderen Rechsgebieten, wie etwa dem Verwaltungsrecht, außerhalb seiner Spezialisierung befragen, so würde er wahrscheinlich schnell seine Meinung zur Qualität der Arbeit des englischen Rechtsanwaltes ändern. In England ist der Markt bekanntermaßen bereits aufgeteilter als in Deutschland und der Spezialisierungsgrad übertriftt denjenigen, der in Deutschland im Gros der größeren wie kleineren Kanzleien zu verzeichnen ist.
Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass kein englischer Jurist Anwalt werden kann, falls er nach der Law School keinen der begehrten Traineeplätze erlangt hat, denn dieses ist letzte Voraussetzung für die spätere Zulassung als Solicitor und bedeutet in der Praxis eine weitere Selektion bzw. Zulassungsbeschränkung.
Das Anwaltsassessoriat hat sich demnach grunsätzlich in der Praxis der Nachbarländer bewährt. Nichts anderes scheint auch Herr Kollege RA Kilger zu meinen (Präsident des deutschen Anwaltsvereins), wenn er als Vertreter des "Einzelanwalts" für eine solche Ausbildung plädiert, allerdings innerhalb des Referendariats und nicht im Anschluss daran.
Leider fehlte die Zeit, einzene Standpunkte dezidiert zu vertreten, Abwägungen vorzunehmen und die zahlreich erschienenen Zuhörer in die Diskussion mit einzubeziehen. Einen Konsens über die zu ergreifenden Maßnahmen vermochten die Teilnehmer nicht zu finden. Aber das wäre auch verwunderlich, nachdem die Auseinandersetzung nach Auffassung von Herrn RA Prof. Dr. Raue bereits zu Lebzeiten von Sophokles dem Grunde nach begonnen haben soll.
Berlin, den 25.11.2004
Nils Holger Bayer
Rechtsanwalt und Avocat à la Cour
(vom 25.11.2004)