Vor Anklageerhebung und selbst vor dem Beginn der offiziellen Ermittllungen gegen einen Verdächtigten einer Straftat, muss die betroffene Person in Frankreich zu einem sogenannten "interrogatoire de première comparution" (einer ersten Anhörung) gemäß Artikel 116 des französischen Strafprozessgesetzbuchs geladen werden.
Dabei muss zwingend darauf hingewiesen werden, dass sich der oder die Betroffene rechtsanwaltlich begleiten lassen darf und soll. Im Rahmen der Beftragung soll ihr Gelegenheit gegeben werden, zu Straftaten Stellung zu nehmen, denen sie verdächtig ist. Diese Anhörung wurde durch das französische Gesetz vom 15. Juni 2000 über die Unschuldsvermutung eingeführt, um zu verhindern, dass die betroffene Person auf anderem Wege von ihrer Anklage erfährt. Die Ladung zum Zwecke der ersten Befragung kann der Person entweder per Einschreiben oder durch Wachtmeister zugestellt werden (Artikel 116 der französischen Strafprozessordnung).
Die Zeit zwischen Vorladung und dem Erscheinen darf nur zwischen zehn Tagen und zwei Monaten liegen (Artikel 80-2 der französischen Strafprozessordnung). Darüber hinaus muss in dem Schreiben angegeben werden, dass die Ermittlungen gegen die Person als Beschludigte erst nach ihrem Erscheinen erhoben werden kann.
Nach der Befragug kann der diese durchführende Untersuchungsrichter entscheiden, ob eine mise en examen erfolgt oder nicht oder ob die Person als begleiteter Zeugen weiter beftragt werden soll.
Sobald über die Eröffnung der Ermittlungen der Person als Beschuldigte entschieden worden ist, gilt folgendes:
Der Beschuldigte muss vom Untersuchungsrichter über seine Rechte informiert werden, falls dies noch nicht geschehen ist (Recht, einen Anwalt zu bestellen oder einen beiordnen zu lassen, Recht zu schweigen usw.).
Der Rechtsanwalt des Beschuldigten muss Zugang zu den Akten des Mandanten erhalten und frei mit ihm kommunizieren können. Er darf ihm mit Zustimmung des Rochters bestimmte Aktenauszüge übermitteln.
Der Beschuldigte darf nicht befragt oder konfrontiert werden, ohne seinen Anwalt kontaktiert und seine Verteidigung organisiert zu haben, außer in Sonderfällen wie dem Risiko des Verschwindens eines Zeugen.
Der Richter kann beschließen, Maßnahmen zu ergreifen, die für den Beschuldigten gravierend sind, wie z.B. gerichtliche Kontrolle oder Untersuchungshaft.
Vor der "mise en examen" spricht man von der "mise en cause", einer bloßen Verdächtigung, in deren Stadium der Betroffene noch nicht Beschuldiger ist und auch keinen Zugang zur Strafakte hat. Erste Akteneinsicht ist erst 4 Tage vor Ladung zur ersten Befragung gesetzlich als Recht vorgesehen. Sie ist vom bestellten Rechtsanwalt vorzunehmen. Aktenstücke dürfen zu diesem Zeitpunk nicht an den Mandanten übermittelt werden.
Vor der "mise en examen" handelt es sich folglich um bloße Vorermittlungen im Sinne der "mise en cause", die nicht zwingend zur Aufnahme öffentlcher Ermittlungen führen muss.
Es ist demnach falsch, die "mise en examen" als Anklageerhebung zu übersetzen. Der zeitliche Punkt des Verfahrens liegt eher vor der Eröffnung des Ermittlungsverfahrens,.soweit man mit dem deutschen Strafverfahren vergleicht. Auch hinken Vergleiche mit dem deutschen Staatsanwalt. Herr der Ermittlungen ist in Frankreich nicht der Staatsanwalt, wie teilweise fälschlich publiziert und wie es in Deutschland der Fall ist, sondern der Untersuchungsrichter "juge d'instruction". Er entscheidet auch, ob es späterhin zu einer Anklage zum Gericht kommt oder nicht. Der französische Staatsanwalt hat diese Befugnis nicht. Der französsiche Untersuchungsrichter ist auch nicht mit dem deutschen gleich zu setzen. Der deutsche Untersuchungsrichter hat fast keine Kompetenzen. Er entscheidet über die Anordnug von Untersuchungshaft oder Durchsuchungsbefehle. Dafür ist in Frankreich der "Juge des libertés et de la détention" zuständig.
Nur bei kleineren Delikten kann der französische Staatsanwalt selbst die Eröffnung des Hauptverfahrens beim zuständigen Gericht beantragen. Andernfalls beantragt dies der französsische Untersuchungsrichter. Bei Kleinstdelikten handelt die Polizei auf Geheiß des Staatsanwaltes und es kommt zu einer sofortigen Verhandlung.
Gesetzestext:
Artikel 116 Strafgesetzbuch (Frankreich)
Beabsichtigt der Untersuchungsrichter, eine Person zu vernehmen, die noch nicht als begleiteter Zeuge gehört worden ist, so handelt der Untersuchungsrichter zunächst in der in diesem Artikel vorgesehenen Weise.
Nachdem der Untersuchungsrichter die Person gegebenenfalls über ihr Recht unterrichtet hat, sich von einem Dolmetscher unterstützen zu lassen, stellt er die Identität der Person fest und unterrichtet sie ausdrücklich unter Angabe des rechtlichen Status der vorliegenden Fakten und der Gründe, aufgrund derer sie angeklagt werden soll. Eine Erklärung dieser Tatsachen und ihrer rechtlichen Charakterisierung wird in das Protokoll aufgenommen.
Die Person wird gegebenenfalls auch über ihr Recht auf eine Übersetzung der wesentlichen Dokumente in der Akte informiert.
Sind die Bestimmungen des Artikels 80 Absatz 2 angewandt worden und wird die Person von einem Rechtsanwalt begleitet, so setzt der Untersuchungsrichter die Vernehmung der Person fort, nachdem er sie über ihr Recht unterrichtet hat, Erklärungen abzugeben, an sie gerichtete Fragen zu beantworten oder zu schweigen; der Rechtsanwalt der Person kann dem Untersuchungsrichter seine Bemerkungen unterbreiten.
In den übrigen Fällen unterrichtet der Untersuchungsrichter die Person von ihrem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen oder zu beantragen, dass von Amts wegen ein Anwalt für sie bestellt wird.
Der gewählte Anwalt oder, im Falle eines Ersuchens um eine Bestellung von Amts wegen, der Präsident der Anwaltskammer ist auf jedem Wege und unverzüglich zu informieren. Wenn der gewählte Anwalt nicht kontaktiert werden oder nicht anreisen kann, wird die Person über ihr Recht informiert, die Bestellung eines Anwalts von Amts wegen zu beantragen, der sie beim ersten Erscheinen unterstützt.
Der Anwalt kann die Akte sofort einsehen und frei mit der Person kommunizieren. Der Untersuchungsrichter teilt der Person dann mit, dass sie das Recht hat, Erklärungen abzugeben, Fragen zu beantworten oder zu schweigen. Dieser Hinweis ist im Protokoll zu vermerken. Die Zustimmung zur Vernehmung kann nur in Anwesenheit eines Rechtsanwalts erteilt werden. Der Anwalt der Person kann dem Untersuchungsrichter auch seine Bemerkungen vortragen.
Nachdem er gegebenenfalls die Aussagen der Person aufgenommen oder ihre Vernehmung durchgeführt und die Bemerkungen ihres Anwalts gehört hat, benachrichtigt der Untersuchungsrichter die Person, dass sie:
-entweder nicht vernommen wird. Der Untersuchungsrichter teilt der Person dann mit, dass ihr die Rechte eines unterstützten Zeugen zustehen;
-oder dass die Person gegen die Person als Beschudigte ermittelt wird. Der Untersuchungsrichter unterrichtet die Person dann über den Sachverhalt oder die rechtliche Einstufung der ihr zur Last gelegten Tatsachen, wenn diese Tatsachen oder Qualifikationen von den ihr bereits mitgeteilten abweichen. So unterrichtet er sie über ihre Rechte, im Rahmen der Auskunftserteilung und, wenn er darum ersucht hat, binnen eines Monats oder drei Monaten nach Absendung der in Artikel 175 Absatz I des französischen Strafprozessgesetzbuchsvorgesehenen Mitteilung nach Maßgabe des Artikels 173-1 des französischen StrafprozessgesetzbuchsAnträge auf Handlungen oder Nichtigkeitsklagen auf der Grundlage der Artikel 81, 82-1, 82-2, 156 und 173 des französischen Strafprozessgesetzbuchs zu stellen.
Ist der Untersuchungsrichter der Auffassung, dass die voraussichtliche Frist für die Vervollständigung der Informationen weniger als ein Jahr bei Vergehen bzw. weniger als achtzehn Monate bei Vernrechen beträgt, so teilt er der Person diese voraussichtliche Frist mit und weist sie darauf hin, dass sie nach Ablauf der genannten Frist die Einstellung des Verfahrens nach Artikel 175-1 des französischen Strafprozessgesetzbuchsbeantragen kann. Andernfalls teilt er der Person mit, dass sie nach demselben Artikel beantragen kann, dass das Verfahren nach Ablauf einer Frist von einem Jahr bei vergehen oder von achtzehn Monaten bei Verbrechen eingestellt wird.
Zum Schluss der Befragung muss die Person dem Untersuchungsrichter ihre persönliche Adresse mitteilen. Sie kann jedoch die Anschrift eines Dritten, der für den Empfang der für sie bestimmten Dokumente verantwortlich ist, ersetzen, wenn sie dessen Zustimmung vorlegt. Die angegebene Adresse muss sich, wenn die Information im französischen Mutterland, in einem Departement des Mutterlandes oder, wenn die Information in einem Überseedepartement erfolgt, in diesem Departement befinden. Diese Erklärung wird vor dem Freiheits- und Haftrichter abgegeben, wenn dieser vom Untersuchungsrichter angerufen wird und entscheidet, die Person nicht in Haft zu nehmen.
Die Person wird darauf hingewiesen, dass sie dem Untersuchungsrichter bis zur Klärung der Informationen durch eine neue Erklärung oder per Einschreiben mit Rückschein jede Änderung der angegebenen Adresse mitteilen muss. Sie wird ferner davon in Kenntnis gesetzt, dass jede Mitteilung oder Zustellung, die an der zuletzt angegebenen Anschrift erfolgt, als an ihre Person vorgenommen gilt. Die Erwähnung dieser Mitteilung wird zusammen mit der Adressangabe in das Protokoll aufgenommen. Der Freiheits- und Haftrichter hat Mitteilung zu machen, wenn er beschließt, die Person nicht in Haft zu nehmen.
Le texte de la loi:
Article 116 du code pénal (France)
Lorsqu'il envisage de mettre en examen une personne qui n'a pas déjà été entendue comme témoin assisté, le juge d'instruction procède à sa première comparution selon les modalités prévues par le présent article.
Après l'avoir informée, s'il y a lieu, de son droit d'être assistée par un interprète, le juge d'instruction constate l'identité de la personne et lui fait connaître expressément, en précisant leur qualification juridique, chacun des faits dont il est saisi et pour lesquels la mise en examen est envisagée. Mention de ces faits et de leur qualification juridique est portée au procès-verbal.
La personne est également informée, s'il y a lieu, de son droit à la traduction des pièces essentielles du dossier.
Lorsqu'il a été fait application des dispositions de l'article 80-2 et que la personne est assistée d'un avocat, le juge d'instruction, après l'avoir informée de son droit de faire des déclarations, de répondre aux questions qui lui sont posées ou de se taire, procède à son interrogatoire ; l'avocat de la personne peut présenter ses observations au juge d'instruction.
Dans les autres cas, le juge d'instruction avise la personne de son droit de choisir un avocat ou de demander qu'il lui en soit désigné un d'office. L'avocat choisi ou, dans le cas d'une demande de commission d'office, le bâtonnier de l'ordre des avocats en est informé par tout moyen et sans délai. Si l'avocat choisi ne peut être contacté ou ne peut se déplacer, la personne est avisée de son droit de demander qu'il lui en soit désigné un d'office pour l'assister au cours de la première comparution. L'avocat peut consulter sur-le-champ le dossier et communiquer librement avec la personne. Le juge d'instruction informe ensuite la personne qu'elle a le droit soit de faire des déclarations, soit de répondre aux questions qui lui sont posées, soit de se taire. Mention de cet avertissement est faite au procès-verbal. L'accord pour être interrogé ne peut être donné qu'en présence d'un avocat. L'avocat de la personne peut également présenter ses observations au juge d'instruction.
Après avoir, le cas échéant, recueilli les déclarations de la personne ou procédé à son interrogatoire et entendu les observations de son avocat, le juge d'instruction lui notifie :
-soit qu'elle n'est pas mise en examen ; le juge d'instruction informe alors la personne qu'elle bénéficie des droits du témoin assisté ;
-soit qu'elle est mise en examen ; le juge d'instruction porte alors à la connaissance de la personne les faits ou la qualification juridique des faits qui lui sont reprochés, si ces faits ou ces qualifications diffèrent de ceux qui lui ont déjà été notifiés ; il l'informe de ses droits de formuler des demandes d'actes ou des requêtes en annulation sur le fondement des articles 81, 82-1, 82-2, 156 et 173 durant le déroulement de l'information et, si elle en a fait la demande, dans un délai d'un mois ou de trois mois à compter de l'envoi de l'avis prévu au I de l'article 175, sous réserve des dispositions de l'article 173-1.
S'il estime que le délai prévisible d'achèvement de l'information est inférieur à un an en matière correctionnelle ou à dix-huit mois en matière criminelle, le juge d'instruction donne connaissance de ce délai prévisible à la personne et l'avise qu'à l'expiration dudit délai, elle pourra demander la clôture de la procédure en application des dispositions de l'article 175-1. Dans le cas contraire, il indique à la personne qu'elle pourra demander, en application de ce même article, la clôture de la procédure à l'expiration d'un délai d'un an en matière correctionnelle ou de dix-huit mois en matière criminelle.
A l'issue de la première comparution, la personne doit déclarer au juge d'instruction son adresse personnelle. Elle peut toutefois lui substituer l'adresse d'un tiers chargé de recevoir les actes qui lui sont destinés si elle produit l'accord de ce dernier. L'adresse déclarée doit être située, si l'information se déroule en métropole, dans un département métropolitain ou, si l'information se déroule dans un département d'outre-mer, dans ce département. Cette déclaration est faite devant le juge des libertés et de la détention lorsque ce magistrat, saisi par le juge d'instruction, décide de ne pas placer la personne en détention.
La personne est avisée qu'elle doit signaler au juge d'instruction jusqu'au règlement de l'information, par nouvelle déclaration ou par lettre recommandée avec demande d'avis de réception, tout changement de l'adresse déclarée. Elle est également avisée que toute notification ou signification faite à la dernière adresse déclarée sera réputée faite à sa personne. Mention de cet avis, ainsi que de la déclaration d'adresse, est portée au procès-verbal. Ces avis sont donnés par le juge des libertés et de la détention lorsque celui-ci décide de ne pas placer la personne en détention.
Berlin, den 11.9.2020
Nils Holger BAYER
Avocat au barreau de Paris (französischer Rechtsanwalt)
Rechtsanwalt (RAK Berlin)